Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Neuphilologische Fakultät GRADUIERTENKOLLEG "PRAGMATISIERUNG/ENTPRAGMATISIERUNG: LITERATUR ALS SPANNUNGSFELD HETERONOMER UND AUTONOMER BESTIMMUNGEN" 1. Beteiligte Fächer und Hochschullehrer Am Graduiertenkolleg sind folgende Fächer beteiligt: Allgemeine Rhetorik Klassische Philologie Germanistik Anglistik/Amerikanistik Romanistik Slavistik Medienwissenschaft Beteiligte Hochschullehrer (mit Angabe von Arbeitsschwerpunkten [abgek.: AS]: Sprecher: Prof. Dr. Bernhard Greiner (AS: Literaturtheorie, Theaterwissenschaft, deutsch-jüdische Literaturbeziehungen.) Deutsches Seminar der Universität Tübingen Wilhelmstr. 50 72074 Tübingen Tel.: 07071/29-4331 Fax: 07071/29-5321 Privatanschrift: Schwabstr. 23 72074 Tübingen Tel.: 07071-27514 Prof. Dr. Jürgen Brummack (AS: Gattungspoetik, Gattungsgeschichte, Literaturgeschichte und Wissenschaftsge- schichte.) Prof. Dr. Bernd Engler (AS: Literatur und Literaturtheorie des 18. und 19. Jahrhunderts, Kulturgeschichte des zeitgenössischen Amerika.) Prof. Dr. Jürg Häusermann (AS: Medienwissenschaft - Medienpraxis.) Prof. Dr. Heinz Hofmann (AS: Lateinische Literatur einschließlich Mittel- und Neulatein.) Prof. Dr. Hans-Georg Kemper (AS: Literatur und Kulturgeschichte der frühen Neuzeit.) Prof. Dr. Rolf-Dieter Kluge (AS: Slavische Literaturen des 19. und 20. Jahrhunderts, marxistische Literaturtheorie und sowjetische Literaturpolitik.) Prof. Dr. Kurt Kloocke (AS: Veränderungen im Literaturbegriff der Französischen Aufklärung und Restaura- tion.) Prof. Dr. Joachim Knape (AS: literarische Rhetorik, Literatur und Kulturgeschichte der frühen Neuzeit.) Prof. Dr. Verena Lobsien (AS: Allgemeine Literaturwissenschaft, Literatur und Kulturgeschichte der frühen Neuzeit.) Prof. Dr. Maria Moog-Grünewald (AS: Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, u.a. Intermedialität.) Prof. Dr. Klaus-Detlef Müller (AS: 18. Jahrhundert, Goethezeit, Medienwissenschaft.) Prof. Dr. Klaus-Peter Philippi (AS: Literatur und Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts.) Prof. Dr. Jürgen Schröder (AS: Literatur und Geschichte, Geschichte des Dramas, Literatur nach 1945.) Prof. Dr. Jürgen Wertheimer (AS: deutsch-jüdische Literaturbeziehungen im europäischen Kontext.) Prof. Dr. Gotthart Wunberg (AS: Moderne und ihre Vorgeschichte.) Beginn: Oktober/November 1996. 2. Ziele, Programm und Struktur des Graduiertenkollegs 2.1. Zusammenfassung Das Graduiertenkolleg (GK) 'Pragmatisierung/Entpragmatisierung: Literatur als Spannungsfeld heteronomer und autonomer Bestimmungen' dient der intensiven Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es erlaubt den Kollegiaten, in kontinuierlicher Teilha- be an den Forschungsaktivitäten der beteiligten Fachgebiete ihre eigenen For- schungsprojekte gezielt voranzutreiben, zugleich durch das breite Themenspektrum der For- schungsschwerpunkte und des Studienprogramms einen weiten wissenschaftlichen Horizont zu gewinnen. Interdisziplinäre Einbettung der eigenen Forschungsprojekte und Einübung in wissenschaftliche Kooperation sind wesentliche Ziele der Ausbildung der Kollegiaten. Gegenstand des GK ist mit 'Pragmatisierung' die Einbindung von Literatur in Erfor- dernisse anderer Künste, bestimmter Wissenschaften oder verschiedener Arten sozialen Handelns, mit 'Entpragmatisierung' die Verweigerung der Literatur gegenüber solcher Fremdbestimmung. Funktionalisierung und Verselbständigung der Literatur werden dabei als stets zugleich in Gang befindliche gegenläufige Prozesse gedacht. Gefragt wird nach Regeln, Gesetzmäßigkeiten und typischen Verläufen solcher Prozesse unter verschiedenen materiellen, kulturspezifischen und medialen Bedingungen. Das Thema wird auf verschied- nen Ebenen der Theoriebildung wie der interpretatorischen Integration ausgearbeitet: kopa- ratistisch an verschiedenen Literaturen, theoretisch entsprechend seiner Auffächerung in verschiedenen Ansätzen der Literaturtheorie, historisch/synchron in der Konzentration auf Epochenschwellen und 'klassische' Perioden, historisch/diachron in der Zentrierung um be- stimmte Felder der Funktionszuweisung (z.B. der Theologie oder der Ethik) oder um be- stimmte Strategien heteronomer Bestimmung (z.B. der persuasio-Strategie oder der Mime- sis-Forderung), intermedial, in der Frage nach Interrelationen zwischen Literatur und ande- ren Künsten, medientechnologisch mit der Frage, inwiefern neue Medientechniken grundle- gend geänderte Teilnahme an literarischen Prozessen ermöglichen und entsprechend andere Produktionsstrategien hervorrufen, textanalytisch mit der Frage nach je spezifischen Verfah- ren der Zeichenbildung und Bedeutungskonstitution in prag- matisierender/entpragmatisierender Absicht. Das GK greift mit seinem Thema einen sich abzeichnenden Paradigmenwechsel im Verständnis von und im Umgang mit Literatur auf, der nach tiefgreifenden Destabilisierun- gen des 'Text'- und 'Autorschafts'-Begriffs wie des Prozesses literarischer Sinnkonstitution auf der Basis umfassend entwickelter Autonomiepositionen nun Pragmatisierungsaspekten neues Gewicht verleiht. Das GK wird diesem in der Regel isoliert wahrgenommenen Prozeß ein breites theoretisches Fundament und historische Tiefe geben, ihn so weiterdenken, auch im Hinblick auf seine vielfältigen praktischen Konsequenzen. Erwartet wird, daß die Kolle- giaten mit profunden wissenschaftlichen Beiträgen zu diesem Themenkomplex in vielen Be- rufsfeldern ein gesteigertes Interesse finden werden. 2.2. Forschungsprogramm Gegenstand des GK ist unter dem Stichwort 'Pragmatisierung' die Funktionalisierung von Literatur für Ziele, Strategien und Theoriebildung anderer Künste, einzelner Wissen- schaften oder verschiedener Arten sozialen Handelns, unter dem Stichwort 'Entpragmatisie- rung' das gleichzeitige Akzentuieren der konstitutiven Freiheit der Literatur und ihre Ablö- sung von Fremdbestimmung. Zur Debatte stehen dabei nicht statische Bestimmungen der Literatur, sei es als heteronom, sei es als autonom, sondern Prozesse der Funktionalisierung bzw. der Verselbständigung: deren Regeln, Gesetzmäßigkeiten, typische Verläufe, sowie deren materielle, kulturspezifische und mediale Grundlagen. Weiter wird nach den Konse- quenzen der jeweiligen Prozesse der Pragmatisierung und Entpragmatisierung für das litera- rische Schaffen gefragt: Ansprüche oder Erwartungen bestimmter Pragmatisierungen (in Annahme oder Abwehr) haben sich immer wieder als entscheidende Auslöser literarischer Innovationen wie des Wandels im Denken über Literatur erwiesen. Ebenso wird nach Kon- sequenzen für die faktische Rezeption wie für das sich herausbildende Verständnis von Li- teratur gefragt (Konsequenzen für Literaturtheorie, Ästhetik, Poetik). Daß Künste in Wechselwirkungen stehen, daß sich literarische Phänomene im Deu- tungshorizont transliterarischer Bezugssysteme (der Wissenschaften, des sozialen, des kommunikativen Handelns) erschließen, ist selbstverständlich und war schon Gegenstand vielfältiger interpretatorischer Arbeiten wie theoretischer und methodologischer Entwürfe. Das Ziel dieser Bemühungen war aber in der Regel, ein hierarchisches Verhältnis zwischen den verschiedenen Systemen zu bestimmen, um das eine aus dem anderen herzuleiten, oder aber das literaturtheoretische bzw., weiter zurückliegend, das poetologische Interesse war auf eine grundsätzliche Entscheidung für Funktionszuweisung oder Autonomie der Literatur gerichtet. Wenn die Funktionalität betont wurde, was bis ins 18. Jahrhundert die Regel war, zwar nicht der Literatur selbst, wohl aber der poetologischen Reflexion, dann stand der Ent- wurf bzw. der Nachweis eines bestimmten Funktionszusammenhanges zur Debatte, war mithin die prinzipielle Frage nach der Bedingung der Möglichkeit einer Pragmatisierung der Literatur gerade nicht im Blick. Gegenüber solch ebenso einseitiger wie einsinniger Reflexi- on wird mit dem Doppelterminus 'Pragmatisierung/Entpragmatisierung' angezeigt, daß beide Prozesse stets zugleich im Spiel sind. Zur Debatte steht, wie sich die eine Bestimmung der Literatur mit ihren Prinzipien, Implikationen und Forderungen in der gegenläufigen Bestim- mung ausbreitet oder wie sich die eine gegen die andere abschottet. Markanter als die ande- ren Künste steht die Literatur von jeher 'auf der Grenze': als mimetisch und a-mimetisch zugleich, funktional und disfunktional, sozial und a-sozial, bedingt und unbedingt. Der Literatur ist ein konstitutiver Widerstand gegen Einbettung in funktionale Zu- sammenhänge eigen, dem explizit ästhetische Reflexion dann immer wieder eine systemati- sche Begründung zu geben versucht hat. Diese grundlegende Resistenz gegenüber hetero- nomen Bestimmungen erklärt erst, daß von den frühesten Zeugnissen poetologischer Ent- würfe an immer wieder mit Nachdruck betont und ausgearbeitet worden ist, daß Literatur eine Funktion habe (etwa eine kultische oder eine pädagogische oder formal eine öffentliche aufgrund der spezifischen Art ihrer Präsentation) und daß sie dementsprechende inhaltliche und formale Strukturen auszubilden habe: das literarische Schaffen als Feld der Pragmatisierung, daß die Dichter nicht lügen: die literarische Mimesis als Feld der Pragmatisierung, daß Literatur beim Rezipienten eine bestimmte (z.B. kathartische) Wirkung haben müsse und durch diese definiert werden könne: die literarische Rezeption als Feld der Pragmatisierung. Der Vorgang der Entpragmatisierung der Literatur wird offenbar, sobald er Boden gewinnt, als suspekt aufgefaßt. Entsprechend antworten ihm immer neue Bemühungen der Repragmatisierung. Sobald aber, diesen folgend, die Literatur in einen Funktionszusammen- hang eingebettet und hierdurch definiert wird, scheint es ein Bedürfnis zu geben, am literari- schen Phänomen gegenläufig gerade die wesensmäßige Unabhängigkeit gegenüber hetero- nomen Bestimmungen herauszustellen. So erweist sich z.B. die Poetikdiskussion des 18. Jahrhunderts als fortgesetzte Auseinandersetzung mit der Erfahrung, daß die Indienstnahme der Dichtung für aufklärerische Zwecke eben die Dichtung aushöhlt, daß die jeweilige Funktionalität aber zugleich das Legitimationskriterium der Dichtung ist. Weiter zugespitzt zeigt sich dieses literaturgeschichtliche wie -theoretische Dilemma dann im 20. Jahrhundert in der Literatur und in den Literaturdebatten sozialistischer Gesellschaftsformationen. Nachdem im 18. Jahrhundert erstmals die Gegenposition zu der in der poetologischen Reflexion bis dahin dominanten Pragmatisierung der Literatur umfassend und systematisch begründet worden ist, lassen sich z.B. für die deutsche Literatur des 19. und 20. Jahrhun- derts immer neue Wellen der Repragmatiserung erkennen: die Parteilichkeitsdebatte der Vormärz-Literatur, die Realismusdebatte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin zur naturalistischen Pragmatisierung der Literatur, die insbesondere literarisch formierte Er- neuerungsbewegung im Expressionismus, die verschiedenen Politisierungen der Literatur seit den Zwanziger Jahren. Gegenwärtig scheint der Aspekt der Entpragmatisierung der Literatur fraglos domi- nant, zugleich aber als Paradigma erschöpft. Manifest wird dies in einer eigenartigen Ab- schottung der neueren Literaturtheorie gegenüber der pragmatischen Philosophie, obwohl sie auf gleicher Grundlage aufbaut, der neostrukturalistischen Zeichentheorie und deren anti-metaphysischen wie anti-essentialistischen Folgerungen. Diskursanalytik, Konzepte der Intertextualität und Dekonstruktion akzentuieren am literarischen Prozeß ein unendliches Verweisungsspiel der Zeichen. Der Pragmatismus betont gleichfalls, daß es keine nichtsprachliche Begegnung mit der Welt gibt, also keine Möglichkeit, hinter die Sprache zu gelangen. Die Frage, ob die solcherart immer sprachlich vermittelte Erkenntnis der Dinge dem 'eigentlichen Sosein der Dinge' angemessen sei, aus der Theoretiker des Neostruktura- lismus (z.B. Lacan, Derrida, de Man) Philosophien des 'Mangels' entwickelt haben, auf de- nen die derzeit leitenden literaturtheoretischen Entwürfe aufbauen, ersetzt der Pragmatismus (z.B. Richard Rortys) durch die Frage, ob unsere Beschreibungsverfahren der Dinge günstig sind für die gesetzten Zwecke. Der Pragmatismus erweist sich so als 'die andere Seite' der (vom Nominalismus der frühen Neuzeit bis hin zum Neostrukturalismus) betonten Sprach- lichkeit, Relationalität, Kontingenz des menschlichen Zugangs zur Welt. Diese 'andere Seite' erscheint in der gegenwärtig dominanten Literatur wie Literaturtheorie im Status des Ver- gessenen oder Verdrängten, verbunden mit Symptomen der Wiederkehr des Verdrängten, etwa in der Öffnung zu einer neuen Metaphysik der Präsenz oder im Betonen des 'Er- eignischarakters' (also der Nicht-Relationabilität) der Kunst oder in der neuerlichen Kon- junktur des Erhabenen usf. Gerade im Gegenzug zu dieser problematischen Auseinande- rentwicklung fragt das GK mit 'Pragmatisierung/Entpragmatisierung' nach der Literatur als prominenter und von jeher in dieser Konstellation reflektierter 'Schnittstelle' von Sprachlich- keit und Handeln. Aus den bisherigen Darlegungen ergeben sich für die Fragestellung des Graduierten- kollegs folgende leitende Akzente: Pragmatisierung/Entpragmatisierung der Literatur werden als stets zugleich im Prozeß befindliche Vorgänge aufgefaßt. Das verlangt, der Fragestellung eine umfassende historische Tiefe zu geben, insofern die Doppelorientierung als schon immer wirksam anzusetzen ist, ablesbar an den Funktionszuweisungen der Literatur von der antiken Poetik-Reflexion an, die als Reaktion auf virulente gegenläufige Orientierungen zu fassen sind. Aus beidem folgt, daß ein weiter Begriff von Pragmatisierung zugrundezulegen ist, ein Begriff, der auch Entwicklungen vor dem 18. Jahrhundert zu fassen vermag, das die Polarisierung Pragmatisierung - Entpragmatisierung erstmals theoretisch entwirft, zugleich ein Begriff, der über soziales Handeln als Feld der Funktions- bestimmung von Literatur hinausreicht (z.B. die lange Tradition theologischer oder psychologischer Pragmatisierung zu erfassen vermag). Die für das 20. Jahrhundert vielleicht als prominent erwartete politisch-soziale Prag- matisierung der Literatur erweist sich bei der angezeigten historischen Vertie- fung und sachlich gebotenen Erweiterung des Pragmatisierungsbegriffs nur noch als eine Variante neben vielen anderen. Die Frage nach Pragmatisierung/Entpragmatisierung der Literatur wird auf verschie- denen Ebenen der Theoriebildung und interpretatorischen Integration gestellt: komparatistisch an verschiedenen Literaturen und den mit diesen jeweils gesetzten kulturellen Traditionen, theoretisch in Filiationen der Literaturtheorie, Gattungstheorie, Erzähltheorie, Poeto- logie, historisch/synchron in der Konzentration auf Epochenschwellen (z.B. die Spätantike, die frühe Neuzeit, die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Grundlegung der klassischen Moderne, die gegenwärtige Situation) und auf klassische Perioden. historisch/diachron, zentriert um bestimmte Felder der Funktionszuweisung (z.B. der Theologie) oder um bestimmte Strategien heteronomer Bestimmung (z.B. der persuasio-Strategie der Rhetorik), intermedial, z.B. in der Frage nach produktiven Interrelationen zwischen Literatur und Bildender Kunst oder nach der theatralischen Pragmatisierung der Literatur und der Gegenbewegung hierzu, medientechnologisch mit der Frage, inwiefern die neuen Medientechniken grundle- gend geänderte Teilnahme an literarischen Prozessen ermöglichen (interaktive Mediennutzung, Hypertext, virtuelle Realität) und entsprechend andere Pro- duktionsstrategien hervorrufen, textanalytisch mit der Frage nach je spezifischen Verfahren der Zeichenbildung und Bedeutungskonstitution in pragmatisierender / entpragmatisierender Absicht. Das Graduiertenkolleg wird folgende Forschungsschwerpunkte umgreifen: [Nachfolgend werden nur die Themen aufgeführt. Beschreibungen der Schwerpunkte mit Angaben zu jeweils wichtiger Forschungsliteratur, eigenen Vorarbeiten und mög- lichen Dissertationsprojekten werden unter Punkt 4 gegeben.] Das Spannungsfeld von 'prodesse et delectare' in der lateinischen Literatur seit der Spätantike und in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit: 1. Lateinisches Lehrgedicht und lateinische Epik seit der Spätantike (bei punktuellem Einbeziehen mittel- und neulateinischer Literatur). 2. Rhetorik frühneuhochdeutscher literarischer Texte. Pragmatisierung / Entpragmatisierung im 18. und frühen 19. Jahrhundert: Grundla- gen, Spannungsfelder und Antworten in neuen literarischen wie theoretischen Kon- zepten: 1. Das Verhältnis von Literatur und funktionalen Diskursen in Frankreich zwischen 1750 und 1830. 2. Die literaturtheoretischen Debatten von Gottsched bis zur Romantik als eine Vor- geschichte der Realismusdiskussion. 3. Kants Kritik der Urteilskraft als theoretische Grundschrift zum Thema des GK; theoretische und literarische Aneignungen der Position Kants in der deutschen Literatur der Kunstperiode. 4. Pragmatisierungs- und Entpragmatisierungsschübe in der amerikanischen Literatur des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Dichtung als Organon der Religion / Religion als Organon der Dichtung in der deut- schen Literatur des 18. Jahrhunderts (christliche Tradition) und der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (jüdische Tradition): 1. Die Beziehung zur (christlichen) Religion in der Entwicklung der deutschen Lite- ratur im 18. Jahrhundert. 2. Zionismus - Messianismus: die neue (jüdisch) religiöse Orientierung in der deut- schen Literatur der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sowie bei Franz Kafka und Paul Celan. Die slavischen Literaturen im Kontext der Pragmatisierungs- und Ent- pragmatisierungsproblematik. Literarische Skepsis, der literarische Narr, Literatur als Widerstand: 1. Entwicklung, Begründung und spezifische Strukturen literarische Skepsis / skepti- scher Literatur in der frühen Neuzeit. 2. Geschichte des literarischen Narren. 3. Literatur als Widerstand. Ein dominantes Begründungskonzept der deutschen Lite- ratur im 20. Jahrhundert. Historio-Graphie als Feld von Pragmatisierung / Entpragmatisierung der Literatur: Historismus und literarische Moderne, Geschichte durch Erzählung - Erzählung duch Geschichte: 1. Historismus und literarische Moderne. 2. Geschichte durch Erzählung - Erzählung durch Geschichte. Pragmatisierung / Entpragmatisierung in den Relationen Sprache und Bild, Text und Theater: 1. Ekphrasis: Kunstbeschreibung als Versuch, die unüberbrückbare Kluft zwischen Sprache und Bild zu überbrücken. 2. Wider die Geschlossenheit der Repräsentation: die theatralischen und drama- tischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts als Akte gegen die Grund- handlung des Theaters. Erzählen im Kontext der Massenmedien: 1. Journalismus als Erzählen. 2. Erzählen im Film. Minimalismus/Neorealismus: Ästhetik der Sachlichkeit im Zeichen der Post- Postmoderne. 2.3. Studienprogramm Aus dem Forschungsprogramm des GK ergeben sich folgende Strukturen des Stu- dienprogramms: Im Grundlagenkolleg stehen Theoriebildung und Methodologie im Umkreis der Fra- gestellung des GK zur Debatte. Das notwendige theoretische und methodologische Wissen wird hier vermittelt, problemorientiert, was impliziert, daß dies Wissen nicht als abgeschlos- senes, sondern als stets weiterzuentwickelndes im Blick bleibt. Funktional wird im Grundla- genkolleg die Basis geschaffen für die interdisziplinäre Verklammerung der fachspezifischen Themen, Problemstellungen und Erkenntnisse. Im Schwerpunktkolleg wird das für ein Semester oder ein Jahr ausgewählte Schwer- punktthema erarbeitet. Abgeschlossen wird dies jeweils mit einem kleinen Symposion zum Schwerpunkt ('Schwerpunktsymposion'), an dem alle am GK beteiligten Hochschullehrer teilnehmen (Dauer in der Regel ein Tag). Im Schwerpunktsymposion wird der erreichte Argumentations- und Diskussionsstand zu spezifischen Problemstellungen des jeweiligen Schwerpunkts und über diesen hinaus zu grundlegenden Fragen des Gesamtthemas verdeut- licht. Im Forschungskolloquium werden die einzelnen Dissertationsprojekte diskutiert, wobei die Einbindung in die Perspektive des zugehörigen Schwerpunkts wie in das generelle Forschungsprogramm des GK im Vordergrund steht. Pro Semester werden ein Grundlagenkolleg (Themenspektrum s.u.), je nach Thema ein oder zwei Schwerpunktkollegs (weitere Angaben s.u.) und ein Forschungskolloquium angeboten. Der Besuch des Grundlagenkollegs, eines Schwerpunktkollegs und des For- schungskolloquiums ist obligatorisch. Werden in einem Semester zwei Schwerpunktkollegs angeboten, stehen diese auch für eine - begrenzte - Zahl von Nicht-Kollegiaten offen. Im Abstand von eineinhalb Jahren werden erweiterte wissenschaftliche Symposien zu zentralen Fragen des Forschungsprogramms, zugleich zu Aspekten der zurückliegenden wie der nächstfolgenden Schwerpunktthemen abgehalten. An ausgewählten Problemkon- stellationen soll insbesondere hier der Dialog mit den Fächern geführt werden, die jeweils als Felder von Pragmatisierung/Entpragmatisierung relevant sind, z.B.: Philosophie, Päd- agogik, Theologie, Psychologie, Soziologie, empirische Kulturwissenschaft, andere Kunst- wissenschaften (Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft). Der bewußt philologischen Grundkonzeption des GK soll hier ein Gegengewicht geschaffen werden. An den erweiterten wissenschaftlichen Symposien wirken alle Hochschullehrer des GK, Tübin- ger Vertreter der genannten anderen Fächer und auswärtige Fachvertreter mit. Mit den Schwerpunktsymposien und den erweiterten wissenschaftlichen Symposien werden die Erträge der gemeinsamen Arbeit gesichtet und gesichert. Die im Forschungsprogramm des GK dargelegten Forschungsschwerpunkte sind For- schungsfelder der am GK mitwirkenden Hochschullehrer, was sich auch in deren allgemei- nem Lehrangebot niederschlägt. Entsprechend werden über Grundlagenkolleg, Schwer- punktkollegs und Forschungskolloquium hinaus jedes Semester eine Reihe von Seminaren (Hauptseminare, Oberseminare) angeboten, die für die Fragestellung des GK einschlägig sind ('themenspezifische Forschungsseminare'). Die Stipendiaten des GK können an die- sen Seminaren teilnehmen. Bestimmte Aspekte des jeweiligen Schwerpunktthemas können hier in Philologien, Zeiträumen, Medien und mit methodischen Zugangsweisen aufgearbeitet werden, die im Schwerpunktkolleg nicht im Zentrum stehen. Die beschriebenen Kollegs können durch zweiwöchige Kompaktseminare ergänzt werden, die jeweils nach Semesterende abgehalten werden. Hierzu werden Gastwissen- schaftler eingeladen, die die Erarbeitung des jeweils ausgewählten Schwerpunktthemas um solche Bereiche und methodische Zugänge ergänzen sollen, die die am GK beteiligten Hochschullehrer nicht vertreten. Grundlagenkolleg Für die Vermittlung des theoretischen und methodologischen Wissens im Bereich des GK und für die problemorientierte Auseinandersetzung mit dem Prozeß der Konzeptions- bildung auf verschiedenen Feldern von Pragmatisierung/Entpragmatisierung ergeben sich folgende Themenbereiche (die Themen sind jeweils systematisch und historisch zu entwik- keln, letzteres konzentriert auf Phasen ausgesprochener Kanonbildung und auf Mo- dernisierungsschwellen): A. Allgemeine Handlungstheorien und Theorien kommunikativen Handelns Habermas' Theorie kommunikativen Handelns, dessen Rezeption und Kritik in So- ziologie und Literaturwissenschaften. Aporetische Implikationen der linguistischen Pragmatik (die Debatte Searle-Derrida), Konsequenzen für die Literaturtheorie. Entstehungsbedingungen und semiologische Grundlagen der pragmatischen Philoso- phie (z.B. Dewey, Rorty) und die neostrukturalistische/dekonstruktivistische Litera- turtheorie im Vergleich. B. Allgemeine und vergleichende Literaturtheorie im Horizont von Fragen der Pragmatisie- rung/Entpragmatisierung Der 'Ort' der Literatur in einer allgemeinen Theorie der Künste/im Vergleich mit nichtsprachlichen Künsten/im Kontext einer allgemeinen Kultursemiotik. Gattungstheorie/Poetologie als Felder der Bildung von Konzepten der Pragmatisie- rung/Entpragmatisierung. Semiologie (Zeichenbildung, Bedeutungskonstitution) literarischer Texte im Horizont von Pragmatisierung/Entpragmatisierung. Das Verhältnis von Fiktion und Didaxe in der Lehrdichtung. Der 'Ort' (das 'Ethos') der Dichtung/der Literatur in der Wirklichkeit des Menschen (z.B.: Aristoteles' Unterscheidung eines 'schöpferischen Wissens' [episteme poietike] von einem theoretischen und einem praktischen Wissen; Kants Topologie des Schö- nen als Feld zwischen Naturwissenschaft und Ethik [Sittengesetz]; neostrukturalisti- sche Bestimmungen der Literatur im Bruch zwischen dyadischer A-Strukturiertheit und symbolischer Ordnung). Leitende Kategorien, in denen der Bezug der Literatur zur Wirklichkeit jenseits der Literatur reflektiert wird (z.B.: Mimesis [der Welt des menschlichen Handelns wie der Natur], Mythos, Geschichtlichkeit, Diskurs). Das Verhältnis der Literatur zur jeweiligen Leitwissenschaft als prominenter Ort der Bildung von Konzepten der Pragmatisierung/Entpragmatisierung (17. Jh.: Theologie, 18. u. 19. Jh.: Philosophie, 20. Jh.: Marxismus, Psychoanalyse, Linguistik). Diskursanalyse/New Historicism als neue Felder der Bildung von Konzepten der Pragmatisierung/Entpragmatisierung. C. Produktionstheorien der Literatur im Horizont von Fragen der Pragma- tisierung/Entpragmatisierung Techne-Aspekt: Regelpoetiken, Rhetoriken, Kanonbildungen als Diskussionsfelder von Konzepten der Pragmatisierung/Entpragmatisierung; Vergleich mit und Abgren- zung gegenüber linguistischen Modellen der Textproduktion in diesem Zusammen- hang (in Kooperation mit mehreren in Tübingen vorhandenen Forschungsschwer- punkten hierzu). Literarische Innovation / Geniegedanke / Modernisierungsschwellen im Horizont von Pragmatisierung/Entpragmatisierung. Medientechnische Entwicklungen, Medientheorie als Bezugsfelder von Konzepten der Pragmatisierung/Entpragmatisierung. D. Rezeptionstheorien von Literatur im Horizont von Fragen der Pragmati- sierung/Entpragmatisierung Ästhetik und Rhetorik: Fall und Wiederaufstieg des Rhetorikparadigmas in der Lite- raturwissenschaft. Literarische Öffentlichkeit als Bezugsfeld von Pragmatisierung/Entpragmatisierung. Wirkungsmodelle von Literatur (z.B.: Katharsis, prodesse et delectare, schöpferische Rezeption, 'Allegorien des Lesens', Konzepte literarischer Didaxe). Literarische Wirkung/Literaturkritik als Felder von Pragmatisierung / Entpragmatisie- rung der Literatur. Aporien der Pragmatisierungs-/Entpragmatisierungsforderung (z.B.: Funktionalität als Legitimation von Literatur, zugleich als Aushöhlen der literarischen Qualität). Angesichts der vielen offenen Fragen der Forschung in diesem Umfeld werden sich im Fortgang der Arbeit neue Problemstellungen ergeben, die zu Erweiterungen wie er- heblichen Modifikationen des vorgestellten Themenspektrums führen können. Aus dem dargelegten Themenspektrum wird pro Semester ein Grundlagenkolleg (14 tg, 2 st) mit genau eingegrenztem Gegenstand angeboten. Die Auswahl des Themas orien- tiert sich auch an den Bedürfnissen der in den Promotionsvorhaben entwickelten Fragestel- lungen. Wenn sich dies von der Sache her besonders nahe legt, können Grundlagenkolleg und Schwerpunktkolleg enger aufeinander bezogen werden (zu einem wöchentlich stattfin- denden dreistündigen Kolleg). Im Grundlagenkolleg sind in einem gewissen Umfang Gast- vorträge sowohl Tübinger als auch externer Wissenschaftler vorgesehen. Damit sollen Fra- gestellungen, Theorien und methodische Ansätze eingebracht werden, die von den am GK beteiligten Hochschullehrern nicht vertreten werden. Schwerpunktkolleg Das Themenspektrum der Schwerpunktkollegs ist in der Beschreibung der For- schungsschwerpunkte dargelegt (s. Punkt 4). Die Schwerpunktkollegs haben eine Doppelo- rientierung. Sie leisten auf der einen Seite Konkretion (der zur Debatte stehende Prozeß der Pragmatisierung/Entpragmatisierung wird in seinen historischen, thematischen, poe- tologischen, literaturtheoretischen und medientechnischen Bezugsfeldern erarbeitet), auf der anderen Seite Verallgemeinerung (anhand des untersuchten spezifischen Prozesses von Pragmatisierung/Entpragmatisierung wird nach verallgemeinerbaren Gesetzen und theoreti- schen Konsequenzen für Pragmatisierung/Entpragmatisierung gefragt; das verlangt, den jeweils spezifischen Prozeß im Horizont vergleichbarer Verläufe in anderen Literaturen, unter anderen historischen und medientechnischen Bedingungen zu betrachten). Die Schwerpunktsymposien, die am Ende eines jeden Semesters abgehalten werden, sollen die Schwerpunktkollegs - sofern in einem Semester zwei abgehalten wurden - wieder zusammenführen. Generell sollen die Schwerpunktsymposien den erreichten Stand der For- schung sichern und - gerade durch die Mitwirkung aller am GK beteiligter Fächer - neue Perspektiven eröffnen. Ggf. werden zu den Schwerpunktsymposien auch einige externe Fachvertreter hinzugezogen, insbesondere um Forschungsansätze einzubeziehen, die von den am GK beteiligten Hochschullehrern nicht vertreten werden. Die Schwerpunktsymposi- en sollen die zum jeweiligen Forschungsschwerpunkt erarbeiteten Erkenntnisse nicht nur zusammenführen und bündeln, sondern zugleich auch an alle am GK beteiligten Fächer zur Umsetzung in deren spezifische Fragestellung weitergeben. Durch diese Art Informations- austausch unter allen Hochschullehrern des GK wird die kontinuierliche Weiterentwicklung des Forschungsprogramms gesichert. Forschungskolloquium Die Breite und die Vielfalt der im Forschungsprogramm des GK gebündelten Themen und Fragestellungen führt zu einer weiten fachlichen und methodologischen Streuung der Forschungsansätze. Diese Offenheit ist gewollt, um innovativen Forschungsprojekten Raum zu geben. Bei aller fachspezifischen und methodologischen Streuung sollen die Dissertati- onsprojekte gleichwohl auf die allgemeinen und grundlegenden Fragen des GK bezogen bleiben. Zugleich sollen die Dissertationsprojekte entweder prinzipiell interdisziplinär oder komparatistisch angelegt sein oder doch einen entsprechenden Akzent haben. Hieraus erge- ben sich für das Forschungskolloquium folgende Arbeitsfelder: 1. Vorstellung und Diskussion der Dissertationsprojekte unter insbesondere drei Aspekten: a. wechselseitige Beziehungen zu Nachbarprojekten, b. theoretisch generalisierbare Perspektiven für das Gesamtprogramm des GK, c. interdisziplinäre und komparatisti- sche Perspektiven. 2. Erörterung von Themen/Fragestellungen, mit denen Veranstaltungen des Grundlagen- kollegs weiter vertieft oder in dort nicht behandelten Bezugsfeldern in den Blick ge- nommen werden. 3. Vorbereitung von Beiträgen aus dem Forschungskolloquium für die Schwerpunktsympo- sien. Das Studienprogramm im Überblick: 1. Grundlagenkolleg, 1 Semesterwochenstunde (SWS), 14 tg, 2 st, obligatorisch; 2. ein oder zwei Schwerpunktkollegs mit abschließendem Schwerpunktsymposion, jeweils 2 SWS, Teilnahme an einem Schwerpunktkolleg obligatorisch; 3. Forschungskolloquium, 1 SWS (14 tg, 2 st), obligatorisch; 4. evtl. einschlägige themenspezifische Forschungsseminare aus dem allgemeinen Lehrangebot; 5. evtl. Kompaktseminare. Mithin obligatorisch: drei Veranstaltungen, insgesamt 4 SWS. Innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren können die Stipendiaten für ein Semester - in der Abschlußphase (Schreibphase) ihrer Dissertation - teilweise von der Obligatorik befreit werden. 2.4. Erwarteter Ertrag des GK Das GK reagiert mit seiner Fragestellung auf einen sich ankündigenden Paradigmen- wechsel im Verständnis von und im Umgang mit Literatur, der Pragmatisierungsaspekten neues Gewicht verleiht. Wie in den Ausführungen zum Forschungsprogramm erläutert, wird das derzeit ungeklärte Nebeneinander von neostrukturalistischer wie dekonstruktivistischer Literaturtheorie, die sich ihrerseits herausgefordert sehen von einer neuen Metaphysik der Präsenz, und der neueren, vielbeachteten Philosophie des Pragmatismus als ein Indiz dafür genommen, daß der linguistic turn als leitende Orientierung wissenschaftlicher Konzepti- onsbildung an Zugkraft verliert. Das GK will diesen Prozeß weder befördern noch sich ihm entgegenstellen, es will ihn vielmehr aufgreifen und weiterdenken, indem es ihm ein breites theoretisches Fundament und historische Tiefe gibt. Mit seinem leitenden Ansatz, von einem immer zugleich gegebenen gegenläufigen Prozeß von Pragmatisierung und Entpragmatisie- rung auszugehen, wird das GK dabei einen Beitrag dazu leisten, den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel vor einem Rückfall in dichotomische Denkmuster zu bewahren. Mit seiner interdisziplinären Anlage vermag das GK der breiten Streuung dieses Paradigmen- wechsels Rechnung zu tragen, ihn damit erst angemessen zu erfassen: in seinen Ungleich- zeitigkeiten, seinen unterschiedlichen Verlaufsrhythmen, in seinen erheblichen Modifi- kationen in den verschiedenen Literaturen sowie in der wechselseitigen Beeinflussung dieser verschiedenen Entwicklungsstränge. Generell wird das GK eine - wie erläutert - grundle- gende Dimension des Schaffens von, des Umgangs mit sowie der theoretischen Besinnung auf Literatur in einem breiten thematischen, literarischen, historischen und theoretischen Spektrum aufarbeiten. Formal und arbeitspraktisch wird das GK der Tendenz vieler Dissertationsprojekte zu hoher Spezialisierung entgegenwirken, methodische Offenheit fördern und den Blick erwei- tern zu jeweils anderen Zeiträumen, Philologien und Medien. Mit der institutionalisierten Zusammenführung und Bündelung von Grundlagenforschung und Arbeit an themenspezifi- schen Schwerpunkten in Symposien wird das GK aber auch trainieren, Vielfalt von Fra- gestellungen und Perspektiven auf einen genau eingegrenzten Gegenstand hin zu focussie- ren, so daß das vielfältige Angebot des Studienprogramms den zügigen Fortgang der Arbeit an den einzelnen Dissertationsvorhaben nicht behindern, vielmehr - auf hohem wissenschaft- lichem Niveau - fördern wird. Weiter macht die komparatistische Anlage des GK die gebo- tene Internationalität der theoretischen und methodologischen Diskussion zur Selbstver- ständlichkeit. Die institutionalisierte Zusammenarbeit von Hochschullehrern und Stipendia- ten an den Forschungsschwerpunkten eröffnet den Stipendiaten vielfältige Möglichkeiten, an innovativen Entwicklungen verschiedener Fächer teilzuhaben. Gleichzeitig wird das GK auch die fachwissenschaftliche Kommunikation unter den beteiligten Hochschullehrern, mit- hin zwischen den verschiedenen Fächern, vertiefen. Besondere wissenschaftliche Profile, die sich im geisteswissenschaftlichen Bereich der Universität Tübingen entwickelt haben - die Einrichtung von Fächern wie 'Empirische Kul- turwissenschaft', 'Allgemeine Rhetorik' (die aus der Altphilologie erwachsen, aber sehr be- wußt in der Neuphilologie angesiedelt ist) oder des Aufbaustudiengangs 'Medienwissen- schaft - Medienpraxis' -, haben die Auseinandersetzung mit Aspekten von Pragma- tisierung/Entpragmatisierung der Literatur schon immer als Gegenstand in Forschung und Lehre. Von der hier gegebenen Fachkompetenz kann das GK profitieren, wie umgekehrt das GK das Forschungsfeld dieser Fächer bereichern wird. 3. Oragnisatorische Voraussetzungen des Graduiertenkollegs 3.1. Zugangsvoraussetzungen. I. Für Doktoranden: a. Erfüllen der Anforderungen für die Zulassung als Doktorand der Neuphilologischen Fakultät oder der Fakultät für Kulturwissenschaften. Für deutsche Bewerber: ein erster akademischer Abschluß in einem geistes- oder sozial- wissenschaftlichen Studiengang. Für ausländische Bewerber: M.A. bzw. Licence/Maîtrise/Diplôme d'études supérieures. Der Abschluß bzw. die Abschlußarbeit muß mindestens mit 'gut' benotet sein. Wo eine solche Qualifikation oder ein Äquivalent zu einem deutschen Examensab- schluß fehlt, entscheidet die Leitung des GK. b. Betreuung des Projekts durch einen der am GK beteiligten Professoren. c. wissenschaftliche Bedeutung des von den Bewerbern vorgelegten Forschungspro- jekts im Hinblick auf die Rahmenthematik des GK. d. neben der besonderen Qualifikation der einzelnen Bewerber ist bei der Auswahl auch ihre bisherige Studiendauer sowie ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu interdis- ziplinärer Arbeit zu berücksichtigen. Aufnahmeverfahren a. öffentliche Ausschreibung, b. Vorlage eines detaillierten Projektplanes mit Arbeitsprogramm und Zeitplan, c. Auswahl der Bewerber durch einen Ausschuß, dem 4 der am GK beteiligten Profes- soren, 1 Vertreter des Mittelbaus und 1 Vertreter der Kollegiaten angehören. II. Für Postdoktoranden: a. Die Promotion muß mindestens mit 'magna cum laude' benotet sein (entfällt bei Ausländern), b. Annahme eines Forschungsexposés durch die Leitung des GK. Das Aufnahmeverfahren entspricht demjenigen für Doktoranden. 3.2. Erfolgskontrollen - Art der Abschlußprüfungen. Die Stipendiaten legen ihrem Betreuer und dem Auswahlausschuß einen jährlichen Bericht über den Fortgang ihrer Arbeiten vor. Abschlußprüfung: Promotion entsprechend der Promotionsordnung der Neuphilologi- schen Fakultät bzw. der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Tübingen. Der Sprecher des GK legt der Versammlung aller am GK beteiligten Professoren am Ende eines jeden Jahres einen Rechenschaftsbericht vor. 4. Beschreibung der Forschungsschwerpunkte des GK (Mit Angaben zu jeweils wichtiger Forschungsliteratur, eigenen Vorarbeiten und zu mögli- chen Dissertationsprojekten.) Das Spannungsfeld von 'prodesse et delectare' in der lateinischen Literatur seit der Spätantike und in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. 1. Lateinisches Lehrgedicht und lateinische Epik seit der Spätantike (bei punktuellem Einbeziehen mittel- und neulateinischer Literatur). Beim lateinischen Lehrgedicht der Spätantike tritt die traditionelle Funktion 'Lehren' häufig hinter anderen Funktionen, z.B. 'Unterhalten' (Beweis rein artistischer Virtuosität), zurück, oder es wird das eigentliche Thema von einem zweiten Thema überlagert, dessen Vermittlung die eigentliche Absicht des Autors war (z.B. Notwendigkeit der Wiedergewin- nung einer heilen Welt, Angebote zur rationalen Neuordnung der staatlichen Gemeinschaft und damit Anleitung zu einem 'wirklichkeitsadäquateren' Modell sozialen Handelns). Ein zweiter Aspekt ist die zunehmende Fiktivierung und Allegorisierung der Gattung in der Re- naissance, als Lehrgedichte erstmals mit dem tradierten Wahrheitsanspruch brechen und vorgeben, etwas zu lehren, was 'in Wirklichkeit', d.h. in der subjektiven Überzeugung der Autoren, gar nicht gelehrt werden kann (Augurelli), bzw. entscheidende Tatsachen ihres Lehrgegenstandes weglassen und stattdessen dem Leser mythisierende, d.h. fiktive Erklä- rungen anbieten (Fracastoro), oder das vordergründige Thema durch intentionale Allegori- sierung auf ein anderes, religiös-erbauliches Thema hin umdeuten (Lazarelli). Epische Dichtung ist in der Spätantike primär an die neuen gesellschaftlichen Struktu- ren des Imperiums gebunden und eigens für Rezitationen bei offiziellen Anlässen geschrie- ben. Dadurch ändert sich die Struktur der Gattung nicht nur inhaltlich und formal, sondern auch narratologisch in entscheidender Weise (Spannung zwischen ästhetischem und persua- sivem Anliegen). Die Bibelepik der Spätantike ist von einer neuen, heteronomen Ästhetik bestimmt. Die traditionellen gattungskonstituierenden Mittel des tradierten Epos (z.B. Ver- gil) werden einem Prozeß der Entpragmatisierung unterworfen, um zu zeigen, daß das anti- ke Epos mit seinen paganen Inhalten ausgedient hat und durch die Präsentation der Bibel als Poesie überwunden ist. Diese Repragmatisierung der alten Gattung Epos in der neuen Gat- tung Bibelepos (Bibel als Epos) führte dann konsequenterweise zu einer neuen, heterono- men Ästhetik der Erbauung. Daneben ist für die spätantiken Bibelcentonen eine andere Form der Entpragmatisierung des vergilischen Epos und seiner Repragmatisierung als Bi- belepos (Vergil als Bibel) zu konstatieren. Hier ergeben sich Verbindungen zum Projekt 'Dichtung als Organon der Religion / Religion als Organon der Dichtung'). Als weitere Problemfelder bieten sich die Gattungen der Historiographie (einschließlich der mittelalterlichen und humanistischen) und des antiken Romans an sowie Textsorten der Hypotheseis (Inhaltsangaben), Epitomai (Auszüge, Kurzfassungen) und Kommentare (Hypomnemata), bei denen sich analoge Ent- und Repragmatisierungsprozesse einzelner Texte und ganzer Textgruppen beobachten lassen, durch die expositorische und fiktionale Texte in neue pragmatische Zusammenhänge eingebunden werden. Wichtige Forschungsliteratur B. Effe, Dichtung und Lehre, München 1977. B. Fabian, Das Lehrgedicht als Problem der Poetik, in: Hans R. Jauß (Hg.), Die nicht mehr schönen Künste. München 1968 (Poetik und Hermeneutik III). G. Roellenbleck, Das epische Lehrgedicht Italiens im 15. und 16. Jahrhundert. München 1975. R. Herzog, Die Bibelepik der lateinischen Spätantike. Bd. 1, München 1975. W. Kirsch, Die lateinische Versepik des 4. Jahrhunderts. Berlin 1989. A.J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography. London/Sydney 1988. T.P. Wisemann, Clio's Cosmetics. Leicester 1979. H. White, Tropics of Discourse. Baltimore 1978 (dt. 1986). B.E. Perry, The Ancient Romances. Berkeley/Los Angeles 1967. R. Merkelbach, Roman und Mysterium in der Antike. München/Berlin 1962. G. Zuntz, The Political Plays of Euripides. Manchester 1955. A.W.A.M. Budé, De hypotheseis der griekse tragedies en komedies. Den Haag 1977. Eigene Vorarbeiten (Heinz Hofmann, Seminar für Klassische Philologie) La 'Syphilis' di Girolamo Fracastoro: immaginazione ed erudizione, in: Res Publica Litter- arum 9, 1986. Aspetti narrativi ed unità epica della 'Sifilide' di Girolamo Fracastoro, in: l.c. 10, 1987. Seminar: Das neulateinische Lehrgedicht. Leitung: H. Hofmann (ed.), in: Acta Conventus Neo-Latini Guelpherbytani. Proceedings of the Sixth International Congress of Neo- Latin Studies, edd. S.P. Revard, F. Rädle, M.A. Di Cesare. Binghamton/N.Y. 1988. Die Fiktivierung des Lehrgedichts. Zur literarischen Diagnose der Syphilis (Ms.). Überlegungen zu einer Theorie der nichtchristlichen Epik der Spätantike, in: Philologus 132, 1988. Artikulationsformen historischen Wissens in der lateinischen Historiographie des hohen und späten Mittelalters. Heidelberg 1987. Antike Hypotheseis: Textsorte und Gattung (Ms.). Mögliche Dissertationsprojekte Das Verhältnis von Didaxe, Persuasion und ästhetischer Autonomie in antiker Lehrdich- tung. Funktionalisierung der Gattung als Reaktion auf individuelle und gesellschaftliche Sinndefi- zite. Rezeptionsformen antiker Lehrdichtung im neulateinischen Lehrgedicht der Renaissance im Hinblick auf die Dialektik von Pragmatik und Fiktion einerseits und auf das Verhältnis zur humanistischen Gelehrtenliteratur andererseits. Pragmatisierung lateinischer Epik im Kontext der Funktionalisierung von Dichtung für Pro- paganda in der Spätantike (Claudian bis Coripp - und weiter). Die heteronome Ästhetik der Erbauung als Resultat der Pragmatisierung von Dichtung als Sacra Poesis in der Bibeldichtung. Entpragmatisierung von Texten durch Epitomisierung und Kommentierung von der Spätan- tike bis in die Renaissance. Analoge Fragestellungen zur Historiographie (zwischen Pragmatik und Fiktion), zum Ro- man (ästhetischer Text vs. Mysterientext, Lektüreanweisungen durch Allegorisie- rung), zu den Hypotheseis (vom expositorischen Text zur mythologischen Erzählung und Kurzgeschichte). 2. Rhetorik frühneuhochdeutscher literarischer Texte. Das Projekt ist auf die frühneuzeitliche deutsche Dichtung von ca. 1450 bis ca. 1650 konzentriert. Diese Literatur scheint auf den ersten Blick unter einem übermächtigen Prag- matisierungsdruck zu stehen, der aus bestimmten historischen Rahmenbedingungen resul- tiert: Es gibt keine Berufsdichter, viele Werke sind Auftragsarbeiten oder Kasualdichtung, die traditionelle Dichtungsauffassung postuliert heteronome Zwecke, Reformation und Ge- genreformation finalisieren das geistig-literarische Leben in ihrem Sinne usw. Bei genauerer Betrachtung der Arbeitsrealitäten einzelner Autoren (z.B. des Vers- dichters Hans Sachs oder des Prosaerzählers Jörg Wickram) zeigt sich aber ein gegensteu- ernder Bedingungskomplex, der die Entpragmatisierung begünstigt: Die Dichter haben ein Autorenselbstkonzept, das die Dichtkunst oft bewußt vom Berufsalltag absetzt; viele Werke entstehen im Kontext von 'Musenhöfen', literarischen Vereinigungen (Meistersang) oder dem durch den Buchdruck zu neuer Dimension gelangten unbestimmt-offenen Markt für Literaturliebhaber; als Repräsentationskunst räumen gerade auch die Auftrags- und Kasual- werke der ästhetischen Autonomie ihr Recht ein; die Poetik postuliert heteronome Ziele (z.B. Moraldidaxe), lehrt aber faktisch ästhetisch autonome Strukturen und konstituiert so poetische Selbstbezüglichkeit; der literarische Renaissance-Humanismus setzt dem Horazi- schen prodesse, d.h. dem docere als moralisch oder religiös eiferndem Lehranspruch, das andere Prinzip des durch Formkunst evozierten delectare mit gleichem Recht entgegen. Das Projekt will in Einzelstudien der Frage nachgehen, wie sich das solcherart litera- tursoziologisch, geistes- und mediengeschichtlich bedingte Spannungsverhältnis von Prag- matisierung und Entpragmatisierung in frühneuhochdeutscher Dichtung niederschlägt. Der Gattungsbezug ist von besonderer Bedeutung, weil innerhalb verschiedener Textgruppen recht unterschiedliche Pragmatisierungsgrade herrschen können. Die Liedtypen des Mei- stersangs etwa schwanken zwischen klarer religiöser Moraldidaxe auf der einen und Liedern reiner Formspielerei auf der anderen Seite. Preislieder und Kirchenlieder sind eindeutig pragmatisiert, dennoch oft von hohem ästhetischen Überformungsgrad. Bei den Texten der Schäferdichtung wiederum ist die Frage ihrer Funktionalität unklar. Methodisch stehen textanalytische Untersuchungen im Mittelpunkt, die erheben sol- len, wie der Widerstreit oder die Interaktion verschiedener Sprachfunktionen (Jakobson) in bestimmten Texttypen realisiert sind. Man kann das Untersuchungen zur Rhetorik frühneu- hochdeutscher Dichtung nennen. Die Begriffsbestimmungen von Rhetorizität und Poetizität stehen dabei in Frage. Für die Aufklärung dieser Frage soll das Instrumentarium der Textlinguistik, der Narrativik, aber auch das der klassischen Rhetorik und Poetik metho- disch genutzt werden. Drei sprachanalytische Perspektiven sind dabei zu berücksichtigen: 1. Sprache als Handlung (Persuasion); interne kommunikative Strukturen; Beziehung zwischen der Darstellung textinterner Persuasion und eventuellen textexternen Persuasions- absichten; sprechaktanalytische Untersuchungen. 2. Sprache als kognitives Medium (Argumentation, Begriffsbildung und Wertungen); gedankliche, emotive und evaluative Strategien und semantische Tiefenstruktur von Texten im Hinblick auf mögliche Zwecke. 3. Sprache als ästhetische Struktur (Poetik); elokutionäre, narrative, poetische Strukturen und Verfahren. Als komplementäre Perspektive tritt selbstverständlich die literaturhistorische hinzu. Sie erlaubt, die literarischen Texte im Kontext zu situieren, um so eine Korrelation von textexternen Bedingungen und textinternen Strukturen zu ermöglichen. Dies ist für die Be- urteilung der Text-Phänomene unabdingbar. Wichtige Forschungsliteratur Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970. Horst Brunner, Die alten Meister. Studien zu Überlieferung und Rezeption der mittelhoch- deutschen Sangspruchdichter in Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. München 1975. Burkhart Dohm, Emanzipation aus der Didaxe. Studien zur Autonomisierung des Erzählens in Romanen der frühen Neuzeit. Frankfurt 1989. Ulrich Gaier, Studien zu Sebastian Brants Narrenschiff. Tübingen 1989. Gerhard Hahn, Evangelium als literarische Anweisung. Zu Luthers Stellung in der Ge- schichte des deutschen kirchlichen Liedes. München 1981. Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Ent- faltung im südwestdeutschen, elsäss. u. schweizer. Städteraum. Köln u.a. 1982. Wilhelm Kühlmann, Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deut- schen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982. Jan-Dirk Müller, Volksbuch/Prosaroman im 15./16. Jahrhundert - Perspektiven der For- schung. In: IASL (1985), 1. Sonderheft: Forschungsreferate. Andreas Solbach, Aufgaben und Probleme einer Erzählrhetorik der Frühen Neuzeit, in: LiLi 25 (1995), H. 98. Eigene Vorarbeiten (Joachim Knape, Seminar für Allgemeine Rhetorik) 'Historie' in Mittelalter und früher Neuzeit. Begriffs- und gattungsgeschichtliche Untersu- chungen im interdisziplinären Kontext. Baden-Baden 1984. Empfindsamkeit in Mittelalter und früher Neuzeit als Forschungsproblem. Eine Bestands- aufnahme. In: Liebe in der deutschen Literatur des Mittelalters. St. Andrews- Colloquium 1985, hg. von J. Ashcroft, D. Huschenbett, W.H. Jackson. Tübingen 1987. Georg Messerschmidt: Bissonetus (1559), hg. von J. Knape. Tübingen 1988. Der Finckenritter. Text und Untersuchung, in: Philobiblon 35 (1991), H. 2. Weltliche Erzählliteratur des 15. u. 16. Jahrhunderts. Einführung. In: Von der Augsburger Bibelhandschrift zu Bertolt Brecht. Zeugnisse der deutschen Literatur aus der Staats- und Stadtbibliothek und der Universitätsbibliothek Augsburg, hg. von H. Gier, J. Ja- nota. Augsburg 1991. Dichtung, Recht und Freiheit. Studien zu Leben und Werk Sebastian Brants (1457-1521). Baden-Baden 1992. Barockrhetorik: Theorie und Praxis der Beredsamkeit. Grundlagen und Entwicklungen in Deutschland. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Tübingen 1992. Elocutio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Tübingen 1994. Boccaccio und das Erzähllied bei Hans Sachs, in: Hans Sachs. Hg. von S. Füssel. Nürnberg 1995. Zehn Thesen zu Sebastian Brants dichterischer Arbeitsweise am Beispiel der Epigramm- sammlung, in: Sebastian Brant, son époque et 'La Nef des fous'. Colloque internatio- nal à Strasbourg 10.3.94-11.3.94, hg. v. G.L. Fink. Strasbourg 1995. Sebastian Brant als Lieddichter, in: Das Lied im Mittelalter. Frauenchiemsee-Kolloquium 1991, hg. v. E. Hellgart, N. Ott. Tüningen 1995. Mögliche Dissertationsprojekte Die Projekte beschränken sich auf Lyrik und originale Prosaerzählwerke (keine Übersetzun- gen). Drei Arten von Monographien sind ins Auge gefaßt: Arbeiten zu Einzelautoren (Autorrhetorik), zu Einzelwerken (Werkrhetorik) und zu Textsorten wie Lied, Epi- gramm, Novelle usw. (Gattungsrhetorik). Pragmatisierung / Entpragmatisierung im 18. und frühen 19. Jahrhundert: Grundla- gen, Spannungsfelder und Antworten in neuen literarischen wie theoretischen Kon- zepten. Dieser Forschungsschwerpunkt gliedert sich in vier Forschungsfelder, die sich unter- einander vielfältig berühren, überschneiden, entsprechend wechselseitig erhellen. 1. Das Verhältnis von Literatur und funktionalen Diskursen in Frankreich zwischen 1750 und 1830. Das Projekt geht von der Beobachtung aus, daß seit der Aufklärung dieselben Auto- ren neben Roman, Theater, Poesie andere Textsorten mit anderen (dezidiert pragmatischen) Strategien wählen und sich dabei doch an dasselbe Publikum, den gebildeten Leser, richten: philosophische Essays, politische Theorie, Reden, Kulturtheorie, wissenschaftliche Texte, Literaturkritik, autobiographisches Schrifttum usf. In diesem Zusammenhang werden Gat- tungsgrenzen in auffälliger Weise durchlässig: aus funktionalen Textsorten dringen Inhalte, Formen und Redestrukturen in die Fiktion ein und verändern deren Charakter. Umgekehrt entlehnen die funktionalen Textsorten, deren pragmatische Referentialität nicht in Frage steht, der Literatur Darstellungsverfahren. Das Phänomen setzt sich dabei über die Epo- chenschwelle der Revolution bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts fort und kre- iert historische Kontinuität gerade da, wo man gewohnt ist, Traditionsbrüche anzunehmen. In diesem Umfeld soll (an unterschiedlichen Autoren und Gattungen) untersucht wer- den, wie die Genera gegeneinander durchlässig werden, wie ein Literaturbegriff sich durch- setzt, der gerade keinen besonderen Status der Literatur gegenüber anderen Textsorten po- stuliert (im Unterschied zur gleichzeitigen deutschen Entwicklung). Veränderungen des Erzählens werden dabei in den Blick treten, weiter soll nach dem Verhältnis von Wis- senschaftsdiskurs und Literatur gefragt werden, ebenso nach dem Verhältnis von Literatur und Literaturkritik. Wichtige Forschungsliteratur zum dargelegten Problemfeld liegen bisher keine einschlägigen Forschungen vor. Eigene Vorarbeiten (Kurt Kloocke, Romanisches Seminar) Benjamin Constant, Une biographie intellectuelle. Genève 1980. Chateaubriand, Le génie du Christianisme. Vortrag 1993, Berlin, Forschungsschwerpunkt Europäische Aufklärung (Ms.). Les écrits de Benjamin Constant sur la religion. Quelques réflexions herméneutiques. Vor- trag 1995 auf dem Jahreskolloquium der Association internationale des enseignants de français (Ms.). Mögliche Dissertationsprojekte Chateaubriand, Le génie du christianisme als Poetik. [Ähnliche Fragestellungen zu Schriften von Mme de Stael, Constant, Ballanche, A.W. Schlegel, Heine]. Literaturtheorie im Werk der Autoren der Groupe de Coppet. Religion, Fiktion, Historie (Rousseau, Stael, Chateaubriand, Villers etc.). Theologie und Publizistik: Der Baron Eckstein. Religionskritik als literarischer und theoretischer Diskurs zwischen 1750 und 1830. Der literaturhistorische Diskurs der Zeit zwischen den Revolutionen (1789-1830). 2. Die literaturtheoretischen Debatten von Gottsched bis zur Romantik als eine Vor- geschichte der Realismusdiskussion. In Deutschland gerät das im 18. Jahrhundert entwickelte literarische System, das durch die Literarisierung und Integration von Zweckformen und durch die wirkungspoetisch begründete Ausbildung einer Vielzahl von Mischgattungen bezeichnet ist, früher und nach- haltiger als in anderen Literaturen in die Krise. Zweifel an direkten Wirkungsmöglichkeiten der Literatur und die Ausbildung einer philosophischen Ästhetik führen in der 'Kunstperiode' zunächst zu einem Gattungspurismus, der den Gattungsdogmatismus Gottscheds unter sy- stematischen Gesichtspunkten weit überbietet, der aber zugleich den Keim zur völligen Auf- hebung von Gattungsansprüchen enthält. In diesem Zusammenhang lassen sich die lite- raturtheoretischen Debatten von Gottsched bis zur Romantik als eine Vorgeschichte der Realismusdiskussion lesen, wobei populärphilosophische Diskussionen und poetologische Überlegungen in den literarischen Texten sowie Äußerungen der Kritik in die Untersuchung einzubeziehen sind. Die kontroverse Einschreibung der Bedeutung von lebensweltlichen Bezügen und von Gattungsansprüchen ist auf grundsätzliche literaturtheoretische Implika- tionen und literaturgeschichtliche Eigenheiten hin zu untersuchen. Wichtige Forschungsliteratur Christa Bürger, Der Ursprung der bürgerlichen Institution Kunst im höfischen Weimar. Li- teratursoziologische Untersuchungen zum klassischen Goethe. Frankfurt a. M. 1977. Wolfgang Preisendanz, Mimesis und Poiesis in der deutschen Dichtungstheorie des 18. Jahrhunderts. In: Wolfdietrich Rasch (Hg.), Rezeption und Produktion. Festschrift für Günther Weydt. Bern 1972. Wilhelm Voßkamp, Historisierung und Systematisierung. Thesen zur deutschen Gattungs- poetik im 18. Jahrhundert. In: E. Lämmert/D. Scheunemann (Hg.), Regelkram und Grenzgänge. Von poetischen Gattungen. München 1989. Heinz Schlaffer, Poesie und Wissen. Die Entstehung des ästhetischen Bewußtseins und der philologischen Erkenntnis. Frankfurt a. M. 1990. Manfred Engel, Der Roman der Goethezeit. Band I: Anfänge in Klassik und Frühromantik: Transzendentale Geschichten. Stuttgart/Weimar 1993. Terry Eagleton, Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie. Stuttgart/Weimar 1994. Hans Vilmar Geppert, Der realistische Weg. Formen pragmatischen Erzählens bei Balzac, Dickens, Hardy Keller, Raabe und anderen Autoren des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1994. Eigene Vorarbeiten (Klaus-Detlef Müller, Deutsches Seminar) Autobiographie und Roman. Studien zur literarischen Autobiographie der Goethezeit. Tü- bingen 1976. Bürgerlicher Realismus. Grundlagen und exemplarische Interpretationen. Königstein 1981. Hans Sachs und die 'Poesie des Tages'. Zu Goethes 'Jahrmarktsfest zu Plundersweilern'. In: Fs. Haug/Wachinger. Tübingen 1992. Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke, Band 16: Campagne in Frankreich, Belagerung von Mainz, Reiseschriften. (Bibliothek deutscher Klassiker). Frankfurt a. M. 1994. Goethes Clavigo. Das Künstlerdrama im bürgerlichen Trauerspiel. In: Aufklärung als Pro- blem und Aufgabe, in: Fs. f. Sven-Aage Jürgensen, Kopenhagen/München 1994. Der Roman als Gleichnis der Welt. Anmerkungen zu Johann Carl Wezels 'Belphegor'. In: Fabel und Parabel. Kulturgeschichtliche Prozesse im 18. Jahrhundert. Hg. von Theo Elm, Peter Hasubek, München 1994. Karl Philipp Moritz: Lebenswelt und Ästhetik. 'Anton Reiser' und das Konzept der Kunstautonomie. In: Etudes Germaniques 1995. Mögliche Dissertationsprojekte zur Geschichte der Mischgattungen im 18. Jh., zur Geschichte der Zweckformen im 18. Jh., zu den ästhetischen Grundlagen der Goethezeit/Kunstperiode. 3. Kants Kritik der Urteilskraft als theoretische Grundschrift zum Thema des GK; theoretische und literarische Aneignungen der Position Kants in der deutschen Literatur der Kunstperiode. Ein weiterer Nukleus dieses Forschungsschwerpunkts wird eine neue Aus- einandersetzung mit Kants Kritik der Urteilskraft sein als einer theoretischen Grundschrift zum Thema des GK, insofern sie in paradoxer Verschränkung der Entpragmatisierung (mit der Bestimmung der ästhetischen und teleologischen Urteilskraft) wie der Pragmatisierung (in der Funktionalisierung der Schrift als Brückenschlag zwischen der Welt der reinen und der praktischen Vernunft) eine systematische Rechtfertigung gibt. Die von Kant sich her- schreibende hohe Erwartung an die Kunst in der deutschen klassisch/romantischen Epoche, die Welten der Sinnlichkeit/Determination und der Idee/Freiheit vermitteln zu können (insofern philosophische Pragmatisierung), und der prekäre Status der Kunst in den ver- schiedenen Konkretisierungen solcher Vermittlungsleistung als Schein, 'bloßes' Symbol, 'Spiel' (insofern insgesamt Entpragmatisierung) rechtfertigen eine integrierende Betrachtung des Kunst- (Literatur-) Schaffens und der in dieser Zeit sich entwickelnden Literaturtheorie vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zu Hegels Diktum vom 'Ende der Kunst'. Untersucht werden verschiedene theoretische wie literarische Aneignungen (auch in der Form der Abgrenzung oder versuchten Überwindung) der Position Kants, wobei vier Felder unterschieden werden: Ausarbeiten der prekären Vermitt- lung, die die KdU entwirft (Goethe, K.Ph. Moritz), Versuche, die Position der KdU zu überwinden (einerseits Schiller, andererseits Hölderlin, Jean Paul und die Frühromantiker als Negation der Negation [Fichtes emphatische Überwindung Kants negie- rend]), radikales Überprüfen/Herausarbeiten der problematischen Implikationen der 'Angebote' der KdU (Kleist). Wichtige Forschungsliteratur Manfred Frank, Einführung in die frühromantische Ästhetik, Frankfurt 1989. Ders., Philosophische Grundlagen der Frühromantik, in: Athenäum 4, 1994. Dieter Henrich, Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794- 1795), Stuttgart 1992. Hans-Friedrich Fulda u.a. (Hg.), Hegel und die Kritik der Urteilskraft, Stuttgart 1990. Gerhard Funke (Hg.), Akten des Siebenten Internationalen Kant-Kongresses 1990. 2 Bde., Bonn, Berlin 1991. Paul de Man, Die Ideologie des Ästhetischen, Frankfurt 1993. Wilhelm Vossenkuhl, Schönheit als Symbol der Sittlichkeit. Über die gemeinsame Wurzel von Ethik und Ästhetik bei Kant, in: Philosophisches Jahrbuch 99, 1992. Hans Robert Jauß, Ästhetische Erfahrung, Frankfurt 1983. Odo Marquardt, Aesthetica und Anaesthetica. Philosophische Überlegungen, Paderborn 1989. Peter Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie, 2 Bde., Frankfurt 1974. U. Tschierske, Vernunftkritik und ästhetische Subjektivität. Studien zur Anthropologie Schillers, Tübingen 1988. Eigene Vorarbeiten (Bernhard Greiner, Deutsches Seminar) Eine Art Wahnsinn. Dichtung im Horizont Kants. Studien zu Goethe und Kleist, Berlin 1994 [Studien im relevanten Zusammenhang zu: Iphigenie, Tasso, Wilhelm Meister, Dichtung und Wahrheit; sodann zu Kleists Dramen und Essays]. Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretationen, Tübingen 1992. [Kapitel zu Klassik und Romantik]. Twatsche Kinder, dumme Trinen und ihr mystischer Takt: das schwärmerische Volk Kleists, in: Wort und Musik. Salzburger akademische Beiträge, hg. von U. Müller, F. Hundsnurscher und O. Panagl. Salzburg 1995 (Manuskript). Dramatische Bearbeitung als Aneignung des Fremden: Shakespeare auf dem 'symbolischen Theater' der Weimarer Klassik, in: Akten des VIII. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanische Sprach- und Literaturwissenschaft, hg. von E. Iwasaki, Bd. 7, München 1991. Die Wende in der Kunst - Kleist mit Kant, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwis- senschaft und Geistesgeschichte 1990 H. 1. Patho-logie des Erzählens: Tiecks Entwurf der Dichtung im "Blonden Eckbert", in: Der Deutschunterricht 1987/1 (13 S.). Echo-Rede und 'Lesen' Ruths: die Begründung von Autorschaft in Bettina von Arnims Ro- man Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, in: DVJS 1996 (Ms.). Mögliche Dissertationsprojekte Die dramatische Organisation der Kritik der Urteilskraft: das philosophische Werk als lite- rarischer Text. Grazie als leitende Vorstellung der Kunstperiode, von Winckelmann bis Kleist. Neuinterpretation von Werken der o.a. Autoren unter dem erläuterten Gesichtspunkt der Auseinandersetzung mit Kant. Die Weimarer Kunstbühne unter Goethes Leitung und Schillers Mitarbeit (als Stückeliefe- rant und Dramaturg): konkurrierende Versuche, die entpragmatisierende Kunstauffas- sung zu repragmatisieren. Der Beginn der deutschen Novellistik als Festhalten des von den hohen Erwartungen an die Kunst nicht Eingelösten bzw. Nicht-Einlösbaren. 4. Pragmatisierungs- und Entpragmatisierungsschübe in der amerikanischen Literatur des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Ein weiteres Arbeitsfeld dieses Forschungsschwerpunkts betrifft Pragmatisierungs- und Entpragmatisierungsschübe in der amerikanischen Literatur des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts. War die amerikanische Literatur bis weit ins 18. Jahrhundert vor- nehmlich durch religiöse, moralisierend-didaktische Funktionszuweisungen bestimmt, die sich aus dem Weltbild der Puritaner herleiteten, so ergab sich aus den rationalistisch- aufklärerischen Strömungen des 18. Jahrhunderts die Notwendigkeit einer umfassenden Neubestimmung der Funktionen literarischer Diskurse. Die skeptische Infragestellung der in der Kolonialzeit und der Zeit der Frühen Republik noch unhinterfragt gültigen Funktionali- sierungen der Literatur ergab sich sowohl aus der veränderten Wirklichkeitsauffassung und Ästhetik der nunmehr an Bedeutung gewinnenden Common Sense-Philosophie als auch aus dem gleichzeitig einsetzenden Versuch ihrer Überwindung. Literatur blieb zwar auch wei- terhin vordergründig moralisierend-didaktischen Absichten verpflichtet, unterlief die eigene Funktionszuschreibung aber zugleich durch eine Neubestimmung moralischer Normen aus dem Geist einer aufklärerischen Rationalität. Die Auflösung der Funktionszuweisungen der Literatur, die innerhalb des traditionel- len Gattungssystems vorgegeben schienen, führte im späten 18. Jahrhundert allerdings nicht allein zu einer Entpragmatisierung, sondern zugleich zu einer Neufunktionalisierung der Literatur im Rahmen der Bemühungen um die literarische Konstruktion einer nationalen Identität. Das Anliegen, die politische Unabhängigkeit der jungen Nation durch eine 'kultu- relle Unabhängigkeitserklärung' zu vollenden, dominierte die Funktionsbestimmungen der Literatur der Frühen Republik und machte damit auch die ursprünglichen Bestrebungen zur Befreiung der Literatur aus heteronomen Funktionszusammenhängen (etwa dem Zwang zu moralischer Erbauung) zunichte. Mit der Repragmatisierung der Literatur im Sinne eines nationalistischen Projekts erfolgte zudem eine Neubestimmung und Verschränkung von vormals getrennten Diskurstypen: Die Fiktion wurde mitunter im Sinne parteilicher Ge- schichtsschreibung funktionalisiert, die Geschichtsschreibung selbst zur bloßen Fiktion hin entgrenzt und ästhetisiert. Die sich hieraus ergebende Verschiebung der Gattungsgrenzen und die Debatte um die der Fiktion bzw. der Geschichtsschreibung zugrundeliegenden Wirklichkeitsmodelle erschütterte schließlich die mimetische Grundorientierung fiktionaler wie auch historiographischer Diskurse. Die Auflösung des Verweisungsbezugs von Litera- tur auf (gesellschaftliche) Wirklichkeit hin stellte jedoch implizit die Indienstnahme der Lite- ratur für politisch-nationalistische Zwecke in Frage. Infolge dieses Prozesses vollzog sich mit der in Amerika verspäteten Ausbildung einer romantischen Welthaltung erneut ein Ent- pragmatisierungsschub, der freilich nicht zur Autonomie der Kunst, sondern lediglich zu einer neuerlichen Repragmatisierung in der Aufhebung des Versuchs einer literarisch- nationalen Identitätsstiftung im Akt einer subjektiv individuellen Stiftung des "American Self" führte. Wichtige Forschungsliteratur Nina Baym, Novels, Readers, and Reviewers: Responses to Fiction in Antebellum America. Ithaca 1984. Lawrence Buell, New England Literary Culture: From Revolution to Renaissance. Cam- bridge 1986. Emily Miller Budick, Fiction and Historical Consciousness: The American Romance Tradi- tion. New Haven 1989. Robert Clark, History, Ideology and Myth in American Fiction 1832-52. London 1984. Cathy N. Davidson, Revolution and the Word: The Rise of the Novel in America. Oxford 1986. George Dekker, The American Historical Romance. New York 1987. Ann Douglas, The Feminization of American Culture. New York 1977. Michael Kammen, A Season of the Youth: The American Revolution and the Historical Imagination. New York 1978. Terence Martin, The Instructed Vision: Scottish Common Sense Philosophy and the Origins of American Fiction. Bloomington 1961. Ronald Zboray, A Fictive People: Antebellum Economic Development and the American Reading Public. New York 1993. Eigene Vorarbeiten (Bernd Engler, Seminar für Amerikanistik) Fiktion und Wirklichkeit: Zur narrativen Vermittlung erkenntnisskeptischer Positionen bei Hawthorne und Melville. Berlin 1991. The Art of 'De-Moralizing': Responses to Moralizing Attitudes in Nineteenth-Century American Fiction, in: Literatur in Wissenschaft und Unterricht, 25/4 (1992). From Providential to Secular Rhetoric: Fourth of July Poetry, 1776-1876, in: The Fourth of July: Political Oratory and Literary Reactions, 1776-1876, hg. Paul Goetsch und Gerd Hurm. Tübingen 1992. The Dismemberment of Clio: Fictionality, Narrativity, and the Construction of Historical Reality in Historiographic Metafiction, in: Historiographic Metafiction in Modern American and Canadian Literature, hg. Bernd Engler und Kurt Müller. Paderborn 1994. Mögliche Dissertationsprojekte Ideen der Geschichte: Zur Problematik von Historiographie und historiographischer Fiktion in der amerikanischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Historiographie und/als Fiktion: Theorie und Praxis historiographischer und fiktionaler Wirklichkeitskonstitution in expositorischen und narrativen Texten des 18. und 19. Jahrhunderts. Historiographie, Geschichtsroman und politisch-nationalistische Funktionalisierungen in der amerikanischen Literatur zwischen 1780 und 1850. Pragmatisierung und Entpragmatisierung in religiösen und nationalistischen Diskursen. Die Kunst des "De-Moralizing": Zur Funktionalisierung der Kritik an didaktischen Erzähl- modellen im frühen amerikanischen Roman. Amerikanische Lyrik der Frühen Republik im Spannungsfeld zwischen Heteronomie und Autonomie. Dichtung als Organon der Religion / Religion als Organon der Dichtung in der deut- schen Literatur des 18. Jahrhunderts (christliche Tradition) und der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (jüdische Tradition). 1. Die Beziehung zur (christlichen) Religion in der Entwicklung der deutschen Litera- tur im 18. Jahrhundert. Die Beziehung zur Religion war für die Entwicklung der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert vor allem deshalb fruchtbar, weil auch die Religion selbst dem Spannungsfeld von Pragmatisierung und Entpragmatisierung unterlag und dabei der Literatur nicht zuletzt durch deren Indienstnahme den Weg zur Unabhängigkeit eröffnete. Aus einer im Zuge des Konfessionalismus verkirchlichten gesellschaftlichen Institution mit öffentlichem Kultus entwickelten sich vor allem durch die Gruppierungen des (radikalen) Pietismus kir- chenunabhängigere, an der individuellen und unmittelbaren Geist-Inspiration orientierte Frömmigkeitsformen, die dem Autonomiestreben als einem Hauptkennzeichen der Aufklä- rung im Bereich der Religion zum Durchbruch verhalfen und sich - wie schon die Barock- Mystiker - der poetischen Sprache als wichtigen Mediums ihrer Frömmigkeit bedienten. Der gegen alle äußere Fremdbestimmung in das Heiligtum der eigenen Innerlichkeit verlegte Ort der Gottseligkeit ließ sich damit zugleich von der Poesie als Hort der Glückseligkeit, als Organon privaten Glücks reklamieren. In der vielfachen Usurpation von Inhalt, Form und Funktion dieser entpragmatisierten Religiosität autonomisierte sich die Dichtung gegenüber der Religion und blieb ihr doch wiederum im Akt der Selbst-Heiligung verwandt (das Genie offenbarte als inspirierter Prophet seiner [Leser-] Gemeinde seine unhintergehbare Wahr- heit, Poetik und Literaturtheorie legitimierten in der Kategorie des Erhabenen Gegenstände der Religion als Inhalt der Dichtung [Bodmer/Breitinger], ästhetisierten die Bibel zur Poesie [Herder] und Klopstocks Messias zum Bibel-Ersatz). Es ist zu untersuchen, ob und worin sich solch entpragmatisierte Poesie und Religiosität (etwa in den religiösen Hymnen Klop- stocks, Goethes, Hölderlins oder Novalis') noch unterscheiden, wohin sich dieser Prozeß entwickelt und ob er unter dem Begriff der Säkularisierung zureichend zu fassen ist. Die Frühromantik hat Dichtung und Religion offenbar zum Teil wieder repragmatisiert. Für No- valis wurde die Religion nach der Chaos-Erfahrung der Französischen Revolution erneut zum einigenden Ferment der Gesamt-Kultur, und der Poesie fiel die Aufgabe zu, diese Eini- gung durch vorwegnehmende Mimesis mit herbeizuführen. Wichtige Forschungsliteratur Helmut Bachmaier, Thomas Rentsch (Hg.), Poetische Autonomie? Zur Wechselwirkung von Dichtung und Philosophie in der Epoche Goethes und Hölderlins. Stuttgart 1987. Albrecht Grözinger, Praktische Theologie und Ästhetik. Ein Beitrag zur Grundlegung der Praktischen Theologie. München 1987. Gerhard vom Hofe, Peter Pfaff, Hermann Timm (Hg.), Was aber bleibet stiften die Dichter? Zur Dichter-Theologie der Goethe-Zeit. München 1986. Walter Jens, Hans Küng, Dichtung und Religion. München 1985. Gerhard Kaiser, Klopstock. Religion und Dichtung. 2. durchges. Auflage, Kronberg 1975. Wolfgang Martens, Literatur und Frömmigkeit in der Zeit der frühen Aufklärung. Tübingen 1989. Jochen Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philoso- phie und Politik 1750-1945. 2 Bde., Darmstadt 1985. Ulf-Michael Schneider, Propheten der Goethezeit. Sprache, Literatur und Wirkung der In- spirierten. Göttingen 1995. Hans-Jürgen Schrader, Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Jo- hann Henrich Reitz' Historie der Wiedergeborenen und ihr geschichtlicher Kontext. Göttingen 1989. Eigene Vorarbeiten (Hans-Georg Kemper, Deutsches Seminar) Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozeß. Problem- geschichtliche Studien zur deutschen Lyrik in Barock und Aufklärung. 2 Bde., Tübin- gen 1981. Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 1: Epochen und Gattungsprobleme. Reformationszeit. Tübingen 1987. Bd. 2: Konfessionalismus. Tübingen 1987. Bd. 3: Barock-Mystik. Tübingen 1988. Bd. V/1: Aufklärung und Pietismus. Tübingen 1991. Bd. V/2: Frühaufklärung. Tübingen 1991. Bd. VI/1: Empfindsamkeit (Ms. ersch. 1996). Geistliche Liebesspiele. Die Herrnhuter in Büdingen, in: Literarisches Leben in Oberhessen, hg. von Gerhard R. Kaiser u. Gerhard Kurz. Gießen 1993. Vielsinnige 'Blumen'-Lese. Zum literarhistorischen Standort Gerhard Tersteegens. In: Pie- tismus und Neuzeit 19, 1993. Der Himmel auf Erden und seine poetische Heiligung. Säkularisierungstendenzen in den 'Freundschaftlichen Liedern' von Immanuel Jakob Pyra und Samuel Gottlob Lange. (Ms., ersch. 1995/96). Religion und Poetik. In: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock. 7. Jahrestreffen des 'Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur' Wolfenbüttel 1991, hg. von Dieter Breuer u.a. (ersch. 1995/96). Mögliche Dissertationsprojekte allgemein zu den religiösen Implikationen der Literatur-, Poetik- und Ästhetikgeschichte von der Empfindsamkeit bis zur Frühromantik, speziell zum Verhältnis von Religiosität und Ästhetizität des Gefühls, zur Bedeutung der neuplatonisch-hermetischen Tradition in Pietimus und Literatur (u.a. bei Shaftesbury, Dippel, Herder und Novalis), zur Verhältnisbestimmung von Dichtung und Religion in der Frühromantik (Novalis, Fr. Schlegel, Schleiermacher). 2. Zionismus - Messianismus: die neue (jüdisch) religiöse Orientierung in der deut- schen Literatur der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sowie bei Franz Kafka und Paul Celan. Eine neue religiöse Orientierung findet sich in der deutschen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, bezogen allerdings nicht auf die christliche, sondern auf die jüdische Religion (daher im deutschen kulturellen Bewußtsein bis heute wenig gegenwärtig): die Schriften z.B. von Leo Baeck, Franz Rosenzweig (der Roman Stern der Erlösung, Übersetzungen Jehuda Halevis), Martin Bubers Nachdichtungen chassidischer Geschichten, die Bibelüber- setzung von Buber und Rosenzweig. Die hier literarisch sich artikulierende vitale Religiosi- tät wie umgekehrt das Hinüberwechseln literarischen Schaffens auf das Feld (wissenschaftlicher wie politisch-praktischer) Theologie steht aber - und damit gewinnt die- se Erscheinung für den Komplex 'Pragmatisierung/Entpragmatisierung der Literatur' emi- nente Bedeutung - im Spannungsfeld der beiden Pole, in dem sich das Judentum im 20. Jahrhundert im Ringen um seine Identität befindet. Der eine Pol ist der Messianismus, die rabbinische Tradition; mit ihm ist Verharren im Vorgeschichtlichen gesetzt, Leben im Auf- schub, das sich der Teilhabe an der Idee gewiß bleibt. Der andere Pol ist der Zionismus, die Hinwendung zur Welt, Eintreten in die Geschichte, allerdings um den Preis des Verfäl- schens, der Verkehrung des Ideellen. Auch die zionistischen Grundschriften sind in deut- scher Sprache verfaßt, zugleich Texte, die wie kaum andere Wirklichkeit geworden sind: Theodor Herzls Manifest Der Judenstaat, sodann Herzls utopischer Roman Altneuland, auf den die Stadt Tel Aviv in ihrem Namen anspielt. Das zutiefst Zweideutige des Messianismus hat Gershom Scholem hervorgehoben: "Die Größe der messianischen Idee entspricht der unendlichen Schwäche der jüdischen Geschichte, die im Exil zum Einsatz auf der ge- schichtlichen Ebene nicht bereit war. Sie hat die Schwäche des Vorläufigen, des Provisori- schen, das sich nicht ausgibt. Denn die messianische Idee ist nicht nur Trost und Hoffnung. In jedem Versuch ihres Vollzugs brechen die Abgründe auf, die jede ihrer Gestalten ad ab- surdum führen." Die religiöse Orientierung dieser Literatur erwächst mit dem Messianismus und dem Zionismus auf zwei antinomisch zueinander stehenden Feldern der Pragmatisie- rung, von denen jedes zugleich als in sich abgründig erkannt wird. Die 'Figur' aber, die die- ses ganze Spannungsfeld umgreift, als Gestalt oder literarisch-strukturell, ist der Häretiker. Das erklärt Scholems lebenslange Beschäftigung mit dem 'falschen' Messias Sabbatai Zwi (wie Scholem auf der anderen Seite mit seinen Schriften zur jüdischen Mystik die mes- sianische Idee umfassend ausgearbeitet hat); sinnvoll erscheint auch, Walter Benjamins Fi- gur des 'Engels der Geschichte' in diesem Umfeld neu zu bedenken. Zu fragen ist u.a., wie weit die Figur des Häretikers in der genannten neuen religiösen Dichtung unterschwellig präsent ist, weiter, inwiefern diese 'Figur' eine neue Dimension der Reflexion religiöser Pragmatisierung eröffnet. Weiter ist ein Vergleich mit Entwicklungen in anderen Literaturen angezeigt, z.B. eine literarische wie philosophische Auseinandersetzung mit den Schriften von Emmanuel Lévinas. An Kafka und Paul Celan als zwei für die Literatur des 20. Jahrhunderts herausragen- den Beispielen soll das Phänomen einer skrupulösen und gebrochenen, gleichwohl jedoch intensiven religiösen Orientierung des literarischen Schaffens erforscht werden. Im Span- nungsfeld der Pole 'Zionismus' und 'Messianismus' wird sich ein neuer Zugang zum Ver- ständnis der Texte wie zur Rezeption beider Autoren ergeben. Am Beispiel Kafkas soll die Frage der religiösen Orientierung rezeptionsgeschichtlich und rezeptionstheoretisch im na- tionalen und internationalen Kontext gestellt werden. Die Inanspruchnahmen und Pragmati- sierungen Kafkas im Dienste verschiedenster Weltbilder bis zu religiösen Lesarten sollen gesichtet und im Hinblick auf ihre diskursive Tradition und Gesetzlichkeit bestimmt werden. Im Zentrum wird dabei nicht zuletzt die Frage nach der Pragmatisierungsleistung von Inter- pretation und Textauslegung stehen. Am Beispiel von Werk und Person Paul Celans als eines exemplarischen Synkretisators religiöser Mythologeme im Kontext der Moderne soll dem 'Dialog' (Nelly Sachs) der jüdischen und christlichen Mythologie besondere Aufmerk- samkeit geschenkt werden. Auch hier ist der Rückschluß auf die Rezeptionsmöglichkeit und -bedingung möglich und notwendig. Wichtige Forschungsliteratur Hermann Cohen, Jüdische Schriften, hg. von B. Strauss, mit einer Einl. von F. Rosenzweig, 3 Bde., Berlin 1924. Hans Liebeschütz, Von Georg Simmel zu Franz Rosenzweig. Studien zum jüdischen Den- ken im deutschen Kulturbereich. Tübingen 1970. Stéphane Mosès, System und Offenbarung. Die Philosophie Franz Rosenzweigs. Vorw. von Emmanuel Lévinas. Aus d. Franz. von R. Rochlitz. München 1985. Martin Buber, Werke, 3 Bde., München, Heidelberg 1962-64. Grete Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus. Göttingen 1966. Paul Arthur Schilpp, M. Friedmann (Hg.), Martin Buber, Stuttgart 1963. Hans Kohn, Martin Buber 1979. Alex Bein, Theodor Herzl, dt. 1983. Julius H. Schoeps, Theodor Herzl, dt. 1975. Ernst Pinchas Blumenthal, Diener am Licht. Eine Biographie Theodor Herzls. 1977. Leah Hadomi, Altneuland. Ein utopischer Roman, in: St. Mosès u. A. Schöne, Juden in der deutschen Literatur, Frankfurt 1986. Gershom Scholem, Sabbatai Zwi. Der mystische Messias, dt. von A. Schweikhart. Frankfurt 1992 (hebr. Tel Aviv 5717 [= 1957]). Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Frankfurt 1957. Gershom Scholem, Judaica Bde. 1 - 5, Frankfurt 1968-1992. Mysticism and Religion. Presented to Gershom Scholem on his Seventieth Birthday 1967. Zur Aktualität Walter Benjamins, hg. von Siegfried Unseld. Frankfurt 1972. Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, 29 (1993), Heft 1 zum Thema: 'Messias und Messianismus'. Christoph Schmidt, The gnostic collapse of culture. Some reflections on political theology. In: Theoria we Bikoret (hebr.) 1995. Giuliano Baioni, Kafka - Literatur und Judentum. Stuttgart, Weimar 1994. Harold Bloom, No Fixed Abode. The Strong Light of the Canonical: Kafka, Freud and Scholem as Recisionists of Jewish Culture and Thought. New York 1987. Iris Bruce, Kafka's Metamorphosis. Folklore, Hasidim and the Jewish Tradition, in: Journal of the Kafka Society of America 11, No. 1/2, 1987. Karl Erich Grözinger, St. Mosès, H.D. Zimmermann, Franz Kafka und das Judentum. Frankfurt 1987. Karl Erich Grözinger, Kafka und die Kabbala. Das Jüdische in Werk und Denken von Franz Kafka. Frankfurt 1992. Jean Jofen, The Jewish Mystic in Kafka. New York, Bern, Frankfurt 1987. Helen Milfull, "Weder Katze noch Lamm". 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Jürgen Wertheimer, "Die Silbe Schmerz" - Paul Celans Sprachsuche nach der Shoah, in: Einige werden bleiben ... Der Beitrag jüdischer Schriftsteller zur deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, hg. v. O. Beisenbart u. U. Abraham, Bamberg 1992. Paul Celan, Werke. Tübinger Ausgabe, hg. von Jürgen Wertheimer. Bearbeitet von Heino Schmull unter Mitarbeit von Michael Schwarzkopf. Sprachgitter. Vorstufen - Textgenese - Endfassung. Die Niemandsrose. Vorstufen - Textgenese - Endfassung. In Vorbereitung: Der Meridian. Endfassung. Textgenese und Vorarbeiten zur Büchner-Preis-Rede in Zusammenarbeit mit Bernhard Böschenstein. Mögliche Dissertationsprojekte Die Bibelübersetzung Buber-Rosenzweigs: das 'Gastgeschenk der deutschen Juden an das deutsche Volk zum Zeitpunkt der Trennung' (G. Scholem). Interpretationen zu den literarischen Arbeiten von Theodor Herzl, Martin Buber, Franz Ro- senzweig. Die 'Figur' des Häretikers in der deutsch-jüdischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Methodologische Probleme religiöser Kafka-Interpretation. Jiddisch-hebräisch-deutsche Intertextualität. Celan als Übersetzer Mandelstams und Rokeahs. Dialogizität bei Celan, Rosenzweig, Lévinas und Buber. Strukturen und Themen des Judentums bei Celan auf der Basis von Textanalysen. Die slavischen Literaturen im Kontext der Pragmatisierungs- und Ent- pragmatisierungsproblematik. Die Geschichte der slavischen Literaturen ließe sich ohne weiteres als Geschichte von Pragmatisierung und Entpragmatisierung schreiben. Die Problematik ist für die slavischen Literaturen so relevant, daß diese nicht nur als "Fallbeispiel", sondern geradezu als Para- digma des Pragmatisierungs- und Entpragmatisierungsprozesses betrachtet werden können. Die russische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts kennt keine den westeuropäischen Gesellschaften vergleichbare Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Geistes- und Ge- sellschaftswissenschaften. Soziale, geschichtliche, psychologische, philosophische, religiöse etc. Fragen und Probleme (und die damit verbundene Identitätssuche Rußlands zwischen Ost und West) werden - auch aus Gründen politischer Zensur und Kontrolle - hauptsächlich im Medium der Literatur diskutiert. Dies hat zu einer starken Inpflichtnahme der Literatur für außerliterarische Zielsetzungen geführt, ihr zugleich aber auch eine außerordentliche - in westlichen Ländern so nicht vorstellbare - ethisch-moralische und weltanschauliche Autori- tät verliehen. Auch der Ruf der russischen Literatur im weltliterarischen Kontext beruht ja v.a. darauf, daß sie es wie keine andere verstanden hat, aus der Not heterogener Zweckbe- stimmungen eine Tugend zu machen und geniale Strategien einer Synthese von literarisch- ästhetischen Kriterien und außerliterarischen Inhalten und Ansprüchen zu entwickeln. Dabei läßt sich z.T. nicht mehr von einer "Vereinnahmung" der Literatur durch die Realität spre- chen, bisweilen scheint sich der Prozeß geradezu umzukehren: die Literatur gewinnt als einzig verläßliche Instanz in einer noch wenig entwickelten intellektuellen Infrastruktur eine kaum überschätzbare Macht über das Denken und damit über die Wirklichkeit. Literatur kann hier nicht mehr einfach nur als Objekt heteronomer Ansprüche betrachtet werden, sie ist selbst zutiefst in den Prozeß der Konstituierung solcher Ansprüche verwickelt. Vor diesem Hintergrund wird die Heftigkeit der Opposition verständlich, die dem Konzept von Literatur als höchster gesellschaftlicher und moralischer Autorität durch die Entstehung der formalistischen und strukturalistisch-semiotischen Schulen seit Beginn des 20. Jahrhunderts erwuchs. Die Impulse, die hier von Rußland, später auch von anderen sla- vischen Ländern (Tschechoslowakei, Polen) ausgegangen sind, haben eine der folgenreich- sten Entpragmatisierungswellen im Bereich der Literaturtheorie und literaturwissenschaftli- chen Methodik und darüber hinaus in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen überhaupt ausgelöst. Das sozialistische Regime hat in Rußland und anderen slavischen Ländern bekanntlich eine rigide, künstliche Repragmatisierung von Literatur erzwungen (Sozialistischer Realis- mus), die ihren Ausdruck u.a. in so merkwürdigen Phänomenen wie der professionellen Ausbildung von Schriftstellern fand sowie in der Bürokratisierung (Administrierung) und der an Interessen der Partei (KP) ausgerichteten zentralistischen Organisation des literari- schen Lebens (Schriftstellerverbände, staatlich organisiertes Kritik- und Verlagswesen). Erst durch den Zerfall des sog. Ostblocks ist die Debatte über eine Entpragmatisierung von Lite- ratur wieder voll in Gang gekommen. In den Werken der sog. postmodernen Schriftsteller ist eine geradezu demonstrative Verweigerung gegenüber heteronomen Zielsetzungen bis hin zur bewußt inszenierten Sinnlosigkeit zu beobachten; andererseits ist nicht zu übersehen, daß die Literatur durch ihre Entlassung aus der gesellschaftlichen Verantwortung enorm an Autorität und Ansehen eingebüßt hat und in eine tiefe Krise gestürzt ist. In den süd- und westslavischen Ländern ist der Prozeß der Pragmatisierung von Lite- ratur historisch gesehen durch den Zusammenfall von literarischer Entwicklung, Herausbil- dung bzw. Bewahrung/-Wiedergeburt der Nationalsprachen und nationaler Identitätsfindung und -behauptung bedingt. Ein besonders deutliches Beispiel der Pragmatisierung stellt die polnische Literatur dar, die während der anderthalb Jahrhunderte der polnischen Teilungen (1773-1918) Medi- um der nationalen Identität war und einen national messianistischen Mythos schuf. Diese Rolle des nationalen Gewissens charakterisiert den Stellenwert der Literatur im geistigen und politischen Leben Polens. Selbst in Phasen vordergründiger Entpragmatisierung dieses Modells, z.B. im Symbolismus (Mloda Polska), hielt sich der nationale Mythos. Die südslavischen Literaturen funktionierten unter der Einwirkung Herderscher und romantischer Vorstellungen von einem kollektiven Volksgeist als Medien der nationalen Bewußtseinsbildung unter Rückbesinnung auf (teils vermeintliche) historische Traditionen oder durch die Schaffung nationaler Mythen ("nationale Wiedergeburt"): aus einer romanti- schen literarischen Bewegung (Illyrismus) ist die "jugoslawische Idee" hervorgegangen, die in unserer Gegenwart wieder zerfällt, wobei im literarischen Leben der Südslaven eigentlich keine spürbare Entpragmatisierung stattgefunden hat, sondern innerhalb des pragmatischen Modells ein Paradigmenwechsel von nationaler Verbundenheit und Gemeinschaft ("Jugosla- wentum") über sozialistische Parteinahme (Frühphase der Ära Tito), vorübergehende starke Anlehnung an westliche literarische Muster (Existenzialismus, Surrealismus), Regionalisie- rung hin zu einer Renationalisierung (bei spürbaren gegenläufigen postmodernistischen Be- strebungen) in der Gegenwart. Die katastrophale Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien beweist indes, daß es unter bestimmten Umständen nicht mehr möglich ist, Literatur aus ihrer pragmatischen Bindung zu entlassen. Ganz gleich, ob Schriftsteller sich hier zur politi- schen Stellungnahme oder zum Rückzug entschließen, sie fällen stets eine 'pragmatische' Entscheidung. Im Kontext dieses in allen slavischen Literaturen hochkomplexen und über Jahrhun- derte hindurch brisanten Wechselverhältnisses von Pragmatisierung und Entpragmatisierung der Literatur wird der Forschungsschwerpunkt 'slavische Literaturen' zwei Themenfelder ins Zentrum rükken: zum einen das Phänomen des Paradigmenwechsels innerhalb eines über- greifenden pragmatischen Modells, in Konzentration auf die Literatur und Literaturtheorie des 19. Jahrhunderts, der Jahrhundertwende und der frühen Moderne, zum andern die Auf- lösungserscheinungen des Sozialistischen Realismus. Wichtige Forschungsliteratur Ronald Hingley, Russian writers and society in the 19th century. London 21977. Petr Kropotkin, Ideale und Wirklichkeit in der russischen Literatur. Frankfurt 1975. Jurij M. Lotman, Besedy o russkoj kul'ture. Byt i tradicii russkogo dvorjanstva. Sankt- Peterburg 1994. William M. Todd III (ed.), Literature and society in imperial Russia 1800-1914. Stanford 1978. Eugène M. de Vogue, Le roman russe. Stockholm 1976 (Orig. 1888). György Dalos, Vom Propheten zum Produzenten. Zum Rollenwechsel der Literatur in Un- garn und Osteuropa. Wien 1992. Gernot Erler, Rainer Grübel (Hg.), Von der Revolution zum Schriftstellerkongreß. Entwick- lungsstrukturen und Funktionsbestimmungen der russischen Literatur und Kultur 1917-1934. Wiesbaden 1979. Aleksandar Flaker, Viktor Zmegac, Formalismus, Strukturalismus und Geschichte. Zur Li- teraturtheorie und Methodologie in der Sowjetunion, CSSR, Polen und Jugoslawien. Kronberg 1974. Hans Günther, Die Verstaatlichung der Literatur. 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Zur Einführung: Osteuropäische Literatur im Wandel, in: R.-D. Kluge (Hg.), Gegenwartsli- teratur in Osteuropa und der DDR. München 1982. Der Dichter als Prophet und Richter. Bemerkungen zu Selbstverständnis, Funktion und Re- zeption slavischer Literaturen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: R.-D. Kluge (Hg.), Gegenwartsliteratur in Osteuropa und der DDR. München 1982. Zum Wandel des Menschenbildes in der russischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Festschrift für Wilhelm Lettenbauer zum 75. Geburtstag, hg. von A. Mestan und E. Weiher. Freiburg 1982. Perestrojka - von innen gesehen. Beobachtungen - Erfahrungen - Perspektiven. Wiesbaden 1990. Der Funktionsverlust der Literatur. Literatur als traditionelles Medium für den weltanschau- lichen, moralischen und politischen Diskurs, in: Die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Entstehung - Entwicklung - Probleme. Red. H.-G. Wehling. Stuttgart 1992. Ivo Andric, Dichtung und Politik, in: J. Wertheimer (Hg.), Von Poesie und Politik. Zur Ge- schichte einer dubiosen Beziehung. Tübingen 1994. Stalinismus in der russischen Literatur, in: J. Wertheimer (Hg.), Von Poesie und Politik. Zur Geschichte einer dubiosen Beziehung. Tübingen 1994. Mögliche Dissertationsprojekte Der Wandel des Menschenbildes in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Russische Literatur der Jahrhundertwende: Paradigmenwechsel innerhalb eines übergrei- fenden pragmatischen Modells: a.Später Realismus. Von der Moral- und Sozialkritik zur Parteilichkeit; b.Symbolismus (Modernismus). Vom entpragmatisierten l'art pour l'art zur Metaphy- sik. Der sozialistische Realismus und seine Destruktion. Konstruktion und Destruktion des nationalen Mythos in der polnischen Literatur. Entstehung und Zerfall der jugoslawischen Idee in der serbischen und kroatischen Literatur. Literarische Skepsis, der literarische Narr, Literatur als Widerstand. Dieser Forschungsschwerpunkt gliedert sich in drei Forschungsfelder. Die Ausdiffe- renzierung eines vergleichbaren Phänomens unter sehr verschiedenen kulturhistorischen Bedingungen steht zur Debatte. 1. Entwicklung, Begründung und spezifische Strukturen literarischer Skepsis / skepti- scher Literatur in der frühen Neuzeit. Zu den Weisen außerliterarischer Indienstnahme von Literatur zählt auch ihre Verein- nahmung durch Praktiken des Denkens; zu den Strategien ihrer Selbstkonstitution gehört auch die Defamiliarisierung philosophischer Modi und Motive. Am Gelenkpunkt der an die- ser Stelle der Auseinandersetzung von Literatur und Philosophie aufbrechenden Dialektik von Pragmatisierung und Entpragmatisierung befindet sich die Skepsis. Als Metaphilosophie expliziert die Skepsis die uneingestandenen Hand- lungsorientierungen dogmatischer Philosophien und suspendiert deren Intentionen in der Denkfigur der Epoché. Indem sie auf das von den übrigen Denkweisen mehr oder minder naiv in Anspruch genommene Abgrenzungsverhältnis von Pragmatisierung und Entpragma- tisierung reflektiert und sie durch ihre charakteristischen Verfahrensweisen in Aporien führt, eröffnet sie zugleich die Möglichkeit einer 'Metaphysik des Schwebens' (Walter Schulz) als Bereich des Ästhetischen jenseits der Antinomien von 'Endlichkeit' (Hegel). Das Literarische erscheint so als Produkt des skeptischen Ausstiegs aus den zur Entscheidung nötigenden Dualitäten; umgekehrt wird hier die Skepsis als Matrix des Literarischen angesprochen. In dem vom GK anvisierten systematischen Zusammenhang bildet die literarische Skepsis als Balanceakt zwischen den Positionen bzw. als Verharren auf dem Punkt des Kippens gleich- sam den Hiatus zwischen 'Pragmatisierung' und 'Entpragmatisierung'. Ein Zeitraum, in welchem das Wechselspiel von Funktionalisierung und Abstoßung, Suspens und Verselbständigung nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Ausdifferenzierung der Diskurse im Zuge der Emanzipation des Literarischen besondere Brisanz gewinnt, ist die Frühe Neuzeit. Im Zusammenwirken mit einer vergleichsweise kontinuierlicher präsen- ten Tradition neuakademischer Skepsis bildet die lateinische Übersetzung des Grundrisses der pyrrhonischen Skepsis des Sextus Empiricus von 1562 den entscheidenden Anstoß für eine 'pyrrhonische Krise' (Richard Popkin), die sich, von Frankreich ausgehend, alsbald nach England fortsetzt. In der Fluchtlinie dieses skeptischen Aufbruchs stehen nicht nur die In- strumentalisierungen der damit bereitgestellten Mittel des Denkens durch den Rationalismus Descartes' oder den Empirismus Bacons und der Royal Society. Darüberhinaus zeigen gera- de die berühmten Anfänge der Sextus-Rezeption von Montaigne bis Shakespeare, welchen Beitrag ein struktureller Skeptizismus zur Herausbildung von Schreibweisen leistet, die sich der philosophischen Indienstnahme widersetzen und die Selbstkonstitution des Literarischen einleiten. Der antisystematische Affekt der pyrrhonischen Skepsis und ihr anti-dogmatisches Potential lassen sich also sowohl konstruktiv wenden (und über den Umweg der Kritik vor- findlicher Denk- und Redeweisen zuletzt wieder diversen Pragmatisierungstendenzen einfü- gen) als auch poetisch radikalisieren oder in Essay und Drama zur Inszenierung eben jener Isosthenie fruchtbar machen, die im Medium des Philosophischen (Theologischen, Natur- wissenschaftlichen ...) stets von der Vereindeutigung und Aneignung durch ihr dogmati- sches Gegenteil bedroht ist. Historisch läßt sich der Bereich der für dieses Teilprojekt in Frage kommenden Texte somit etwa durch Namen wie Cusanus einerseits, Shaftesbury und Sterne andererseits eingrenzen. Relevant sind unter diesem Gesichtspunkt nahezu alle Gat- tungen - von Essays und Drama bis Poesie und Prosa (einschließlich der Anfänge des Ro- mans). Wichtige Forschungsliteratur Werner Beierwaltes, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte. Frankfurt 1985. Stanley Cavell, Disowning Knowledge. In Six Plays of Shakespeare. Cambridge 1987. Cicero, Akademische Abhandlungen. Lucullus. Lat.-Dt. Übers. und Hg. Ch. Schäublin, A. Graeser, A. Bächli. Hamburg 1995. Jacques Derrida, Wie nicht sprechen. Verneinungen. Wien 1989. Stephen Greenblatt, Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare. Chicago, London 1980. Richard Popkin, The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza. Berkeley 1979. ders., The Third Force in Seventeenth-Century Thought, Leiden 1992. Margaret Wiley, The Subtle Knot. Creative Scepticism in Seventeenth-Century England. London 1952. Eigene Vorarbeiten (Verena Lobsien, Englisches Seminar) Das Projekt bildet einen Teilaspekt eines Forschungsvorhabens, für das der Projektleiterin ein Heisenbergstipendium bewilligt worden ist (das nach Annahme eines Rufs an die Universität Tübingen nicht wahrgenommen werden wird). Die Vorarbeiten sind im Wesentlichen unpubliziert; sie liegen in den folgenden Bereichen: Traditionen und Strukturen der frühneuzeitlichen Skepsis, Montaignes Essays, Die Subjektphilosophie Descartes', Das Melancholieparadigma in der Frühen Neuzeit bis zu Sterne, Struktureller Skeptizismus in den Texten der Metaphysical Poets, Selbstkonstitution der Fiktion in Texten Aphra Behns und Margaret Cavendishs. Publiziert: Unendliche Welten. Margaret Cavendishs imaginative Konstruktion der Wirklichkeit zwi- schen Skepsis und Platonismus, in: Hours in a Library. Mitteilungen des Zentrums zur Erforschung der Frühen Neuzeit der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Beiheft 1) 1994. Voraussichtlich 1996 erscheinen: Heterologie. Konturen frühneuzeitlichen Selbstseins jenseits von Autonomie und Hetero- nomie, in: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Das manische Selbst. Frühneuzeitliche Versionen des Melancholieparadigmas und die Gene- se literarischer Subjektivität, in: Roland Hangenbüchle, Reto Luzius Fetz, eds., Ge- schichte und Vorgeschichte moderner Subjektivität, Berlin, New York. Mögliche Dissertationsprojekte Funktionen der Skepsis in der Geistes- und Problemgeschichte der Frühen Neuzeit. Anfänge einer theologischen Ästhetik bei Nikolaus von Kues. Emanzipation des Literarischen im Spannungsfeld philosophischer und naturwissenschaftli- cher Diskurse des 17. Jahrhunderts. 'The Rise of the Novel': Feministische Revisionen der Geschichte des Romans in England (Fiktionale Texte von Frauen im 17. Jahrhundert). 'Self-Fashioning': Selbststilisierung und Überschreitung der Geschlechtergrenzen als Sub- version oder Affirmation dualistischer Positionen in Philosophie und Literatur. Dramatisierte Skepsis bei Shakespeare (und anderen BühnenautorInnen). 2. Geschichte des literarischen Narren. Erasmus hat in seinem berühmten Adagium Nr. 2201 Name und Bild der 'Sileni Alci- biadis' für solche Fälle bekannt gemacht, in denen unter einer unscheinbar-lächerlichen Hülle ein reicher und kostbarer Gehalt verborgen ist, der, weil er nie ganz welthaft werden kann, die Maskierung braucht und in ihr umso staunenswerter erscheint. Da Erasmus den Silen als Hofnarren der Götter und den Sokrates als weisen Narren bezeichnet, darf man annehmen, daß er gerade im (Hof-) Narren jene Struktur realisiert sieht, in welcher ein geistiger oder sozialer Mangel, eine Abweichung in Rede, Verhalten oder Kleidung als Zeichen für ein notwendig Entzogenes verstanden wird. Ist der Gedanke erst einmal da, so geraten auch eindeutig kritisch gemeinte Narrenbilder in seinen Sog, und man kann beobachten, wie ein vorgegebener Traditionsbestand in ein neues Deutungsfeld gerät, das ihn umprägt und am- biguiert. Solchen Vorgängen und den Geschicken des literarischen Narren von Erasmus bis zu Thomas Bernhard soll nachgegangen werden. Dabei ergeben sich Schwerpunkte im 16./17. Jahrhundert, um 1800 sowie am Beginn und am Ende dieses Jahrhunderts, wobei auch der Vergleich über große historische Abstände hinweg Erkenntnis verspricht. So kön- nen die Konsequenzen, die sich in der neueren Literatur daraus ergeben, daß das 'Entzo- gene' außerhalb der künstlerischen Darstellung nicht mehr fundiert werden kann, die Litera- tur der frühen Neuzeit in ein neues Licht rücken. Zu den weiteren Leitfragen gehören die nach dem Verhältnis der Ausnahme zur Normalität und zur Macht, nach dem Verhältnis von Freiwilligkeit und Notwendigkeit, nach dem Spannungsverhältnis des Individuellen zu Insti- tutionen (Parasit, Hofnarr, literarische Autorschaft) und zur Tradition, nach dem Bezug zum Komplex der Satire. Dabei ist nach dem Narren sowohl als Objekt wie als Subjekt der Lite- ratur (Literatur als närrischer Rede) und nach dem Verhältnis beider gefragt. Der Narr als 'Objekt' der Literatur ist historisch vielfältig und auf interessante Weise in Kontakt und Konkurrenz getreten mit der fürsorgerischen und wissenschaftlichen Behand- lung der einschlägigen Phänomene der Abweichung. An einzelnen Fällen ist dies Verhältnis untersucht. Mit dem Narren als 'Subjekt' der Literatur, d.i. mit der Literatur als närrischer Rede steht ein Sprachverhalten zur Debatte, das mit seiner Defizienz Bedeutung bean- sprucht und sich in ein Rand- und Spiegelungsverhältnis sowohl zur Lebenswelt wie aber auch zum Ästhetisch-Literarischen setzt. Wichtige Forschungsliteratur Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, dt. Frankfurt/M. 1973. Barbara Könneker, Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus, Wiesbaden 1966. Joel Lefebvre, Les Fols et la Folie. Etude sur les genres du comique et la création littéraire en Allemagne pendant la Renaissance, Paris 1968. Emmanuel Le Roy Ladurie, Karneval in Romans. Von Lichtmeß bis Aschermittwoch 1579- 1580, dt. Stuttgart 1982. Werner Mezger, Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur, Konstanz 1991. Eigene Vorarbeiten (Jürgen Brummack, Deutsches Seminar) Satire, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte Bd. 3, 2. Aufl. 1977. Satirische Dichtung. Studien zu Friedrich Schlegel, Tieck, Jean Paul und Heine, München 1979. Komödie und Satire der Romantik, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Europäi- sche Romantik I, hg. v. K.R. Mandelkow, Wiesbaden 1982. Heines Lachen, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 20, H. 2, 1989. Satire, in: Fischer Lexikon Literatur (im Erscheinen). Das Narrenmotiv im Werk Heinrich Heines vor dem Hintergrund der deutschen Romantik (Ms., erscheint 1997). Mögliche Dissertationsprojekte Forschungen: zur Geschichte der Menippeischen Satire; zur literarischen Narrenrede im Verhältnis zur wissenschaftlichen; zur Interpretation zeitgenössischer Literatur vor dem Hintergrund der Narrentradition. 3. Literatur als Widerstand. Ein dominantes Begründungskonzept der deutschen Lite- ratur im 20. Jahrhundert. Das Projekt geht von der Beobachtung und dem Befund aus, daß sich nach 1945 fast alle westdeutschen Schriftsteller als literarische Widerstandskämpfer verstanden haben, z.B. Alfred Andersch, Günter Eich, Heinrich Böll oder Max Frisch. Sieht man einmal von dem Umstand ab, daß es in der Bundesrepublik ein begreifliches Nachholbedürfnis in Sachen Widerstand gegeben hat, so wird man dadurch auf einen Komplex aufmerksam, der für die gesamte moderne Literatur von Bedeutung ist. Der Begriff des 'Widerstands' bezieht sich nämlich weniger auf die politische Literatur im engeren Sinne, z.B. auf die verschiedenen Formen und Phasen einer Résistance-Literatur seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, als vielmehr auf die innersten Bereiche der jeweiligen Ästhetik und Poetik eines Dichters. Hier wird er auf eine eigene und doch vergleichbare Weise von erstaunlich vielen Schriftstellern definiert. Die Disposition für solche Definitionen bildete sich vermutlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, als die europäischen Künstler mehr und mehr in eine Oppositions- und Außenseiterstellung gegenüber der modernen Gesellschaft und ihrer Entwicklung gerieten. Seitdem haben sie sich nicht damit begnügt, die inhumanen Tendenzen der modernen Welt zu kritisieren, sondern sie wollten ihnen mit ihrem Werk und oft auch mit ihren Lebensfor- men unmittelbar Widerstand leisten - und sei es auch nur im Sinne der 'Negativen Ästhetik' Adornos. Diese Haltung stützte sich bis in die jüngste Zeit wenig dialektisch auf ein antitheti- sches Gegeneinander von Geist und Macht. Literatur, als die Instanz des Geistes, verstand sich eo ipso als Machtkritik und Subversion der Macht in allen ihren Erscheinungen. Erst in den letzten Jahren, vor allem durch die Schriften und Aktionen M. Foucaults, ist der politische und ästhetische Widerstandsbegriff der Intellektuellen und Künstler pro- blematisiert worden. Die Vorstellung, daß es innerhalb oder außerhalb von Machtsystemen archimedische Punkte gäbe, ist obsolet geworden. Gleichzeitig wurden neue Formen des politischen und ästhetischen Widerstandes entwickelt und diskutiert. In dieser Situation ist es angezeigt, über den Widerstandsbegriff in der Literatur literarisch und systematisch nach- zudenken. Die Untersuchung soll sich zunächst auf seine vielfältigen Erscheinungen in der Litera- tur des 20. Jahrhunderts beziehen. Wichtige Forschungsliteratur Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, hg. von Gretel Adorno u. Rolf Tiedemann, FRankfurt 1973. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit Bd. I, übers. von Urlich Raulff u. Walter Seitter, Frankfurt 1977. Frederic Jameson, Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus, in: Andreas Huyssen, Klaus R. Scherpe (Hg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek 1986. Stephen Greenblatt, Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renais- sance. Aus dem Amerikanischen von Robin Cackett, Berlin 1990. Stephen Greenblatt, Schmutzige Riten. Betrachtungen zwischen Weltbildern. Aus dem Amerikanischen von Jeremy Jaines, Berlin 1991. Peter Steinbach (Hg.), Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte. Köln 1987. Jochen Vogt, "Erinnerung ist unsere Aufgabe." Über Literatur, Moral und Politik 1945- 1990, Wiesbaden 1991. Jens F. Dwars, Dieter Strützel, Mathias Mieth, Widerstand wahrnehmen - Dokumente eines Dialogs mit Peter Weiss. Gespräche, Aufsätze und Materialien zur "Ästhetik des Wi- derstands". Köln 1993. Gerhard Goebel-Schilling, Salvatore A. Sanna, Ulrich Schulz-Buschhaus, Widerstehen. Anmerkungen zu Calvinos erzählerischem Werk. Frankfurt 1990. Karl-Heinz Götze, Politik des Abgrunds und Kunst des Widerstands. Die Grundlagen der Ästhetik von Peter Weiss, Wiesbaden 1994. Wilhelm H. Grothmann, Zur Problematik des Widerstands bei Alfred Andersch, in: Neophi- lologus 67, 1983. Antje Hagena-Wollschläger, Widerstand und Ästhetik. Tendenzen des englischsprachigen südafrikanischen Romans zu Beginn der 80er Jahre. Frankfurt 1992. Maria C. Schmitt, Peter Weiss "Die Ästhetik des Widerstands". Studien zu Kontext, Struk- tur und Kunstverständnis. Saarbrücken 1990. Petra Neuenhaus, Max Weber und Michel Foucault über Macht und Herrschaft in der Mo- derne. Pfaffenweiler 1993. Richard Schwarz, Aspekte einer neuen Machttheorie. Michel Foucault. Bonn 1992. Eigene Vorarbeiten (Jürgen Schröder, Deutsches Seminar) "Ohne Widerstand keine Hoffnung." (Max Frisch) Literatur als Widerstand? In: Jürgen Wertheimer (Hg.), Von Poesie und Politik. Zur Geschichte einer dubiosen Beziehung, Tübingen 1994. Mögliche Dissertationsprojekte Arbeiten zu einzelnen Autoren und Werken nach 1945. Historio-Graphie als Feld von Pragmatisierung / Entpragmatisierung der Literatur: Historismus und literarische Moderne, Geschichte durch Erzählung - Erzählung durch Geschichte. 1. Historismus und literarische Moderne. Das erste Forschungsfeld dieses Schwerpunkts steht im größeren Zusammenhang der Frage nach der Moderne und ihrer Vorgeschichte. Es geht um die Entwicklung der These einer materialen (nicht einfach dialektischen bzw. kontrastiven) Kontinuität zwischen dem Historismus des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne. Ihre Entfaltung und Be- handlung soll zu einer Theorie der Semiosis moderner Texte beitragen, wie sie in neuerer Forschung immer wieder gefordert wird. Die These lautet, daß der Historismus in seinen Textverfahren zur Konstitution spezi- fisch moderner literarischer Schreibweisen wesentlich beiträgt. In seiner Gestalt als histori- scher Positivismus stellt er in der Wissenschaftsprosa und ihren popularisierten Formen eine beispiellose Flut neuer Lexeme bereit, die zunächst in mimetischer Absicht (z.B. als Garan- ten historischer Wahrheit im historischen Roman) in die Literatur der Zeit eingehen. In der Literatur des Fin de siècle verselbständigen sich dann solche Lexeme als exotische, kostbare oder geheimnisvolle Einzelworte, z.B. in Katalogtexturen. Diese Tendenz zur Lexemauto- nomie setzt sich in den spezifisch modernen Schreibweisen der zehner und Zwanziger Jahre fort und führt spätestens dort zu den bekannten Effekten der Unverständlichkeit, Hermetik und Änigmatik. Damit ist eine materiale Kontinuität zwischen Historismus und literarischer Moderne zu dokumentieren, die geeignet ist, die Forschungsmeinung von der versuchten 'Überwin- dung des (relativistischen) Historismus' durch die moderne Literatur (Köhn) sowie ein un- differenziertes Verständnis moderner Texturen als Krisensymptome (Ich-, Sprach-, Wertkri- se etc.) wesentlich zu ergänzen bzw. zu korrigieren. Hier ist ein grundlegender Beitrag zur historischen Situierung und systematischen Beschreibung einer eigenständigen Semiosis moderner 'unverständlicher' Schreibweisen zu leisten, wie er in jüngster Zeit immer deutli- cher als Desiderat der germanistischen Forschung erscheint. Die Entfaltung der These erfordert eine genauere Auffächerung unter verschiedenen Aspekten, etwa: das Verhältnis von positivistischer Wissenschaftsprosa, populärwissenschaftlichen Schreibweisen und genuin historischer Literatur (historischer Roman, Professo- renroman etc.), das systematische Verhältnis von Diskurs (Historismus) und literarischen Schreibwei- sen, Katalogtexturen des 19. Jahrhunderts, des Fin de siècle und der unverständlichen Mo- derne, hermetische Texturen der klassischen Moderne, Semiosis der Montage und des Zitats, die Frage der Restrukturierung moderner Prosa, z.B. im Roman, Auseinandersetzung mit den hermeneutischen und kriseologischen Lesarten bisheriger Forschung. Wichtige Forschungsliteratur Christoph Bode, Ästhetik der Ambiguität. Zur Funktion und Bedeutung von Mehrdeutigkeit in der Literatur der Moderne. Tübingen 1988. Jürgen H. Petersen, Der deutsche Roman der Moderne. Grundlegung - Typologie - Ent- wicklung. Stuttgart 1991. Moritz Baßler, Die Entdeckung der Textur. Unverständlichkeit in der Kurzprosa der em- phatischen Moderne 1910-1916. Tübingen 1994. Dirk Niefanger, Produktiver Historismus. Raum und Landschaft in der Wiener Moderne. Tübingen 1993. Eigene Vorarbeiten (Gotthart Wunberg, Deutsches Seminar) Österreichische Literatur und allgemeiner zeitgenössischer Monismus um die Jahrhundert- wende, in: Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hg.), Wien um 1900. Auf- bruch in die Moderne. Wien 1986. Chiffrierung und Selbstversicherung des Ich. Antikefiguration um 1900, in: Die Modernisie- rung des Ich. Studien zur Subjektkonstitution in der Vor- und Frühmoderne, hg. von Manfred Pfister. Passau 1989. Unverständlichkeit. Historismus und literarische Moderne, in: Hofmannsthal Jahrbuch 1993. Historismus, Lexemautonomie und Fin de siècle. Zum Décadence-Begriff in der Literatur der Jahrhundertwende, in: Arcadia 1995. Mögliche Dissertationsprojekte Dissertationsprojekte werden aus den Themenfeldern entwickelt, die in der Darstellung des Forschungsschwerpunkts aufgelistet sind (s.o., S. 33). 2. Geschichte durch Erzählung - Erzählung durch Geschichte. Im Problemzusammenhang der Frage nach Begriff, Genese und Destruktion der äs- thetischen 'Moderne' gründet das zweite Forschungsfeld in einem die Felder von Historio- graphie und Literaturwissenschaft gemeinsam durchschneidenden Problem, der Prämisse: Geschichte muß erzählt werden - Erzählen erzählt Geschichte(n). Die transzendentalen Ka- tegorien der Ermöglichung von Erfahrung (Raum und Zeit) erfüllen sich in der konkreten Durchdringung und wechselseitigen Bestimmung 'wissenschaftlicher', z.B. geschichtswis- senschaftlicher und literarisch-narrativer Diskurse. Keine Erzählung ist möglich ohne Daten, Fakten und deren Zusammenfügung zu Ordnungen, kein Text kommt ohne 'Erzählzeit' und 'erzählte Zeit' aus und keine Geschichte. Erzählen bleibt so, ob als Geschichtsschreibung oder als literarische Erfindung, auf die unsere gemeinsame Welt-Erfahrung organisierenden Ordnungen von Raum und Zeit und die in unserer Kultur verbindlichen, codierten Maße dafür bezogen. Solche Normen und Ordnungskonzepte von Erfahrung werden aber von einer Literatur, die im Kontext der Reflexionen des Neostrukturalismus eine nicht- mimetische, konstruktive sprachliche Kompetenz akzentuiert und ästhetisch-theoretisch begründet, radikal in Frage gestellt. Zur Debatte steht, ob die Konstruktion von Geschichte als Ereignis- und Bedeutungszusammenhang durch Erzählen als 'narrative Form' noch be- wirkt werden kann, wenn diese selbst, als disparat, inkonsistent, diskontinuierlich, herme- neutische Sinn-Entwürfe verweigert. Erzeugt Erzählen dann nur noch textuelle Muster, kei- ne Text-Ganzheiten mehr? Die Basis-Opposition lautet: Integration oder Dispersion - immer im Vergleich mit konventionalisierten Erzählmustern. Gegenüber deren Ordnung eines wis- senschaftlich, theoretisch und konventionell fundierten Verständnisses von Geschichte er- scheint die Perspektive einer anderen Art von Ordnungs-Erzeugung: durch Lektüre. Das Erzählen bezieht sich nicht mehr vor allem auf einen vorgängigen lebensweltlichen Konsens als Verstehenshorizont; aus der Kommentierung und Rekonstruktion von 'Information' und 'Struktur' der textinternen Daten gegenwärtiger Erzählweisen muß erst eine gemeinsame Geschichte von Text und Lese-Prozeß hergestellt werden. Der Leser schreibt das Buch als seines zu Ende. Wo die Texte tendenziell einen weiter-erzählenden Kommentar erzwingen, erscheint das einst aus den Texten der frühen Moderne abgewanderte 'Erklären' (als besonderer wis- senschaftlicher, gerade geschichtswissenschaftlicher Diskurs) evtl. in anderer Gestalt wie- der, als Prozeß der Semiose in der Dechiffrierung und Zusammensetzung der strukturbil- denden sprachlichen und narrativen Elemente der gegenwärtigen Formen des Erzählens. Auch die beziehungsstiftende Kompetenz des Lesers bleibt, selbst auf dem Gebiet der Kenntnisse des Lexikons und der Grammatik, aber auch der zuhandenen Theorie-Konzepte, gebunden an die Möglichkeit der Tradierung von 'Wissen' (in Texten) durch Überlieferung, an deren Kontrolle und Kritik. Dieser Problemzusammenhang soll an umfangreichen Prosa-Konstruktionen der letz- ten zwanzig Jahre untersucht werden, die das Problem des Erinnerns, der Konsistenz des erinnernden und erzählenden Subjekts (bzw. Funktionsträgers), die Vervielfältigung der 'Sprachen', die Verwandlung des (auto-biographischen) ins erzählte Ich, die Einbindung und Herauslösung des Erzählens aus einem Konzept von Geschichte bzw. in die Umschreibun- gen von Mythen, die Form endloser Verflechtung von Rede-Weisen und die Möglichkeit realitätstranszendierender Sprechweisen entfalten. Wichtige Forschungsliteratur Reinhart Koselleck u.a. (Hg.), Objektivität und Parteilichkeit. Theorie der Geschichte. Bei- träge zur Historik, Bd. I. München 1977. Jürgen Kocka, Thomas Nipperdey (Hg.), Theorie und Erzählung in der Geschichte. Beiträ- ge zur Historik, Bd. 3. München 1979. Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt 1979. Aram Veeser (Hg.), The New Historicism. New York, London 1989. Hartmut Eggert u.a. (Hg.), Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentati- on von Vergangenheit. Fs. f. Eberhard Lämmert. Stuttgart 1990. Jörn Rüsen, Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens. Frankfurt 1990. Ders., Konfigurationen des Historismus. Studien zur deutschen Wissenschaftskultur. Frankfurt 1993. Hans-Jost Frey, Der unendliche Text. Frankfurt 1990. Jacques Rancière, Die Namen der Geschichte. Versuch einer Poetik des Wissens. Frankfurt 1994. C. Conrad und M. Kessel (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zu ei- ner aktuellen Diskussion. Stuttgart 1994. Eigene Vorarbeiten (Klaus-Peter Philippi, Deutsches Seminar) "Für die Katz"? Robert Walsers Text 'Der Tänzer' und das paradoxe Glück der Kunst. In: Zur Ästhetik der Moderne. Fs. f. Richard Brinkmann. Tübingen 1992. Chaos und Ordnung im Werk Ernst Jüngers, in: DVJs 63, 1989. Mögliche Dissertationsprojekte Teleologie und Diskontinuität der Erschreibung von 'Zeit'. Sprach-Codes und ihre Umstrukturierung durch Sprechen und Schreiben. Subversionen der 'Vernunft' und ihre phantastische Neukonstruktion. Modellanalysen literarischer/medialer Zyklen (G. Roth, Marianne Fritz). Pragmatisierung / Entpragmatisierung in den Relationen Sprache und Bild, Text und Theater. 1. Ekphrasis: Kunstbeschreibung als Versuch, die unüberbrückbare Kluft zwischen Sprache und Bild zu überbrücken. Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert schien das Verhältnis von Bild und Text eher unproblematisch: eine Analogie, gar Gleichrangigkeit wurde postuliert, zumindest im Para- gone diskutiert, in der Formel 'ut pictura poesis' tradiert. Die sich seit dem 18. Jahrhundert verschärfende Autonomisierung der Künste (auch als Folge der radikalen Trennung aller Diskurse), die damit verbundene Aufgabe 'mimetischer' Darstellung bzw. der Verlust an 'Wiedererkennbarkeit' bringen Wort und Bild, Kunst und Literatur in eine kaum überbrück- bare Distanz; jegliche Analogisierung scheint unmöglich. Und dennoch bzw. gerade deswe- gen ist bereits im 19. Jahrhundert eine Tendenz zu Synästhesien bemerkbar, wird im 20. Jahrhundert insbesondere in Frankreich die Auseinandersetzung mit Kunst, die Kunstkritik im weitesten Sinne, zum Medium der Poiesis, darüberhinaus allgemein zu einem Medium der Erkenntnis, ästhetisch, poetologisch, wissenschaftlich. Kunstbeschreibung als Verfahren scheint die Störung, ja die Negierung der Referenz von Sprache und Welt und im besonde- ren von Sprache und Bild in der poetisch-poetologischen Reflexion und einer wiederum durch sie generierten Dichtung aufheben zu wollen. Intendiert ist letztlich, über Kunstbe- schreibung als Kunsterfahrung zu einer präreflexiven, 'Präsenz' evozierenden 'Ur-Spache' (zurück-) zu finden. Gerade dieser Befund, der par excellence die Moderne kennzeichnet, könnte aber die als selbstverständlich postulierte Relation von Kunst und Literatur, wie sie in dem (falsch verstandenen) Horazischen 'ut pictura poesis' wirkmächtig formuliert ist, auch für die Anti- ke, das Mittelalter, die Renaissance im oben skizzierten Sinne problematisieren. Das 'Wesen' der Sprache, im ganzen der Schrift, nur mehr Ab-wesendes präsent machen zu können und dies in nur unzulänglichem Maße, wird - so die weiterführende These - von Anbeginn kom- pensiert durch das Bild. Die Gattung der Ekphrasis, im ganzen das ekphrastische Prinzip (Murray Krieger: Ekphrasis - The Illusion of the Natural Sign, 1992), das den frühen grie- chischen Epigrammen als Beigabe zu einer Statue ebenso eignet wie dem komplexeren Emblem, verweist auf die keineswegs nur die Moderne kennzeichnende Wahrnehmung einer prinzipiell unüberbrückbaren, doch gerade darum zu überbrückenden Kluft zwischen Welt und 'Sprachen der Kunst' (Goodman), zugleich auch auf die unhintergehbare und ubiquitäre Komplementarität von 'Pragmatisierung/Entpragmatisierung'. Es dürfte von Interesse sein, daß dieses Phänomen nicht nur für die Moderne in seiner radikalen Variante Geltung hat, sondern in Maßen und in Differenz auch für die Antike und die Renaissance. Wichtige Forschungsliteratur Speziell zum skizzierten Gegenstand liegt bisher keine Forschung vor. Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, hg.v. Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer, München 1995. Boehm, Gottfried: Zu einer Hermeneutik des Bildes, in: Die Hermeneutik und die Wissen- schaften, hg. v. Hans-Georg Gadamer und Gottfried Boehm, Frankfurt a.M. 1978. Bätschmann, Otto: Bild-Diskurs. Die Schwierigkeit des Parler Peinture. Bern 1977. Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Ein Ansatz zu einer Symboltheorie. Frankfurt a.M. 1973. Eigene Vorarbeiten (Maria Moog-Grünewald, Romanisches Seminar) Dialog der Künste. Intermediale Fallstudien zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Erwin Koppen, hg. von Maria Moog-Grünewald und Christoph Ro- diek, Bern, Frankfurt, New York 1989. Kunst, Kunstkritik und Romanschaffen. Zu ihrer Wechselwirkung bei Joris-Karl Huysmans. In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 31 (1986). Noch einmal: Baudelaire und Delacroix gelegentlich eines Porträts, in: Dialog der Künste. Intermediale Fallstudien zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Erwin Koppen, hg. von Maria Moog-Grünewald und Christoph Rodiek, Bern, Frankfurt, New York 1989. Mögliche Dissertationsprojekte Monographien zum Verhältnis Dichtung/Kunst bei René Char, Francis Ponge, Michel Lei- ris, Henri Michaux, Yves Bonnefoy u.a. Sprachtheoretische Begründung der Genese der Emblematik. Die Rolle der kunst- und literaturtheoretischen Traktate als Voraussetzung und Stützung des Ut pictura poesis-Postulats. Diderots Kunstkritik im Verhältnis zu zeitgenössischen kunst- und literaturtheoretischen Schriften. 2. Wider die Geschlossenheit der Repräsentation: die theatralischen und dramati- schen Revolutionen des 20. Jahrhunderts als Akte gegen die Grundhandlung des Theaters. Ein zweites Forschungsfeld zu diesem Schwerpunkt hat einen Gegenstand, der sich durch Totalisieren der Repräsentation definiert: Theater als Institution, die alles zum Zei- chen macht. Die 'Realisierung' die das Theater dem Text verspricht (ihn als Spielvorgabe zu pragmatisieren), ist stets nur, ein Abwesendes vorzustellen. Ebenso ist auch alles Nicht-Tex- tuelle auf dem Theater wesensmäßig nie bei sich, sondern auf ein Bedeutetes hin gespannt. 'Geschlossenheit der Repräsentation' (Derrida) kennzeichnet die konstitutive Semiosis des Theaters. Aber auch dieser Entzug von Präsenz wird von Anfang an kompensiert: durch den Ursprung des (europäischen) Theaters selbst im Kult, als Veranstaltung, die in der ekstati- schen Begehung (Komos) den Gott in die Gegenwart zitiert. Erneuerungen des Theaters erfolgen entsprechend vom griechischen Theater an in der Rückwendung auf diesen Ur- sprung, als Aufbegehren gegen die Strukturen der Formierung und Bändigung der ur- sprünglichen Präsenz-Erfahrung in Spielordnungen, so verstanden in 'Theater', das das 'Di- onysische' ver-stellt, wogegen Versuche gesetzt werden, die kultisch-mythische Wurzel des Theaters zu revitalisieren. Es erscheint lohnend, die 'Revolutionen' des Theaters wie des Dramas im 20. Jahrhundert unter diesem Blickwinkel neu zu betrachten: als autochthon sich begründende Umwälzungen, um dem Theater das ihm grundsätzlich Entzogene, Präsenz, zurückzugewinnen. In diesem Horizont wird der Stellenwert transtextueller und transthea- tralischer Pragmatisierungen als Movens der 'Revolutionen' von Theater und Drama neu zu bestimmen sein. Aufheben der Grundhandlung des Theaters, des Bedeutens, womit das Theater in seiner autochthonen 'Pragmatik' zur Disposition steht: das russische avantgardi- stische Theater (z.B. von Meyerhold, Wachtangow, Tairow, Eisenstein; hierzu auch: Aus- einandersetzungen zwischen Cechov und Stanislawski), die Theaterarbeit Max Reinhardts, die Theaterexperimente und -entwürfe Artauds und Majakowskis, die Theaterarbeit Gro- towskis, Brooks, Wilsons, Mnouchkines sollen unter diesem Blickwinkel neu betrachtet werden. Weiter soll gefragt werden, wie weit die großen dramatischen Neuerer des 20. Jahrhunderts (Majakowski, Beckett, O'Neill, Pirandello, der Brecht der Lehrstücke, in der Gegenwart z.B. Heiner Müller und Botho Strauß) sich gleichfalls durch dieses Bemühen er- schließen, Öffnung zu leisten für Erfahrungen von Präsenz. Zwei gegenläufige Bewegungen (als paradoxe Entpragmatisierung des Dramas) werden dabei zu verfolgen sein. Zum einen, das Theater mit Texten zu beliefern, die 'vom Theater nicht zu machen sind' (Heiner Müller, der nur solche Texte als genuin theatralische gelten läßt). Zum andern ein Theater, das mit dem Text so umgeht, daß dessen 'Diktatur über das Theater' (Artaud), stellvertretend für die totalisierende Semiosis des Theaters, gebrochen wird. Wichtige Forschungsliteratur Jürgen Rühle, Theater und Revolution. München 1963. W.E. Meyerhold, A.I. Tairow, J.B. Wachtangow, Theateroktober, hg. von L. Hoffmann u. D. Wardetzky. Frankfurt 1972. Joachim Paech, Das Theater der russischen Revolution. Kronberg 1974. A.A. Anikst, Teorija dramy v Rossi ot Puskina do Cechova. Moskva 1972. P.M. Kerschenzew, Das schöpferische Theater. Breslau o.J. [nach 1920]. Christine Müller-Scholle, Das russische Drama der Moderne. Eine Einführung. Frankfurt/M u.a. 1992. Bodo Zelinsky (Hg.), Das russische Drama. Düsseldorf 1986. D. Scholze, Zwischen Vergnügen und Schock. Polnische Dramatik im 20. Jahrundert. Ber- lin 1989. Marianne Kesting, Entdeckung und Destruktion. Zur Strukturumwandlung der Künste. München 1970. Lance St. John Butler, Beckett and the Meaning of Being. A Study in Ontological Parable. London 1984. Ruby Cohn, Just Play: Beckett's Theater. Princeton 1980. Gustavo Costa, Luigi Pirandello. Firenze 1978. Jacques Derrida, Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation, in: J.D., Die Schrift und die Differenz. Frankfurt 1985. Jacques Garelli, Artaud et la question du lieu. Essai sur le théâtre et la poésie d'Artaud. Pa- ris 1982. Ulrich Hossner, Erschaffen und Sichtbarmachen. Das theatralische Wissen der historischen Avantgarde von Jarry bis Artaud. Bern, Frankfurt, New York 1983. Irmbert Schenk, Luigi Pirandello - Versuch einer Neuinterpretation. Frankfurt 1983. Manfred Brauneck, Gérard Schneilin, Drama und Theater. Bamberg 1987. Horst Turk, Theater und Drama: Diderot - Artaud - Brecht, in: Forum Modernes Theater 1, 1986. Susan Sontag, A la rencontre d'Artaud. Paris 1976. George Steiner, Der Tod der Tragödie. Ein kritischer Essay. Frankfurt 1981. Arlene Akiko Teraoka, The Silence of Entropy or Universal Discourse. The Postmodernist Poetics of Heiner Müller. New York 1985. Robert Wilson, The Theatre of Images. Introductions by John Rockwell. New York 1984. Simone Seym, Das Théâtre du soleil. Ariane Mnouchkines Ästhetik des Theaters. Stuttgart 1992. Eigene Vorarbeiten (Bernhard Greiner, Deutsches Seminar, Rolf-Dieter Kluge, Slavisches Seminar) Bernhard Greiner, Die Komödie: Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretatio- nen. Tübingen 1992. Bernhard Greiner, 'Damenopfer' für das Theater: Hofmannsthals und Reinhardts Begegnung in der Arbeit an Elektra, in: Marc Gelber (Ed.), Jewish Authors from the Donau Monarchy. In Honour of Margarita Pazi. (Ersch. 1996.) Bernhard Greiner, Beginnlosigkeit - Schlußchor - Gleichgewicht: der 'Sprung' in der deut- schen Nachkriegsgeschichte und Botho Strauß' Jakobinische Dramaturgie, in: Weima- rer Beiträge 40 (1994). Bernhard Greiner, Wiedergeburt des Tragischen aus der Aktivierung des Chors? Botho Strauß' Experiment Anschwellender Bocksgesang. (Ms. ersch. 1996) Bernhard Greiner, Einheit (Gleichzeitigkeit) von Beschreibung und Vorgang: Versuch über Heiner Müllers Theater, in: G. Laschen, P.-G. Klussmann (Hg.), Spiele und Spie- gelungen von Schrecken und Tod. Zum Werk von Heiner Müller. Jahrbuch zur Litera- tur in der DDR, Bd. 7, Bonn 1990. Bernhard Greiner, Die Hamletmaschine: Heiner Müllers Shakespeare Factory und Robert Wilsons Inszenierung, in: Raymond Federmann u.a., Die Postmoderne - Ende der Avantgarde oder Neubeginn? Essays. Eggingen 1989. Rolf-Dieter Kluge, Wladimir Majakowskij: Mysterium buffo, in: Bodo Zelinsky (Hg.), Das russische Drama. Düsseldorf 1986. Rolf-Dieter Kluge, Balagancik and Misteria buff. A structural comparison of Russian sym- bolist and avant-garde drama, in: A. Donskov & R. Sokoloski (eds.), Slavic drama. The question of innovation proceedings. Ottawa 1991. Mögliche Dissertationsprojekte Untersuchungen zu Vertretern der Theateravantgarde im 20. Jahrhundert. Mythos als Thema und Ziel des Theaterschaffens im 20. Jahrhundert: eine Kontinuität in der Geschichte von Diskontinuitäten. Artaud: Theater wider die Herrschaft des Textes auf dem Theater als literarischer Entwurf - Paradoxien einer Autonomisierung des Theaters. Heiner Müller: Literatur für das Theater als Negation des Theaters. Die Erkundung von Grenzmöglichkeiten theatralischer Pragmatisierung literarischer Texte (über Müller hinaus als generelle Tendenz des Theaterschaffens im 20. Jahrhundert). Körper-Konzeptionen im Drama und Theater des 20. Jahrhunderts. Cechovs Entdramatisierung (Enttheatralisierung) des Theaters. Revolutionäres Massenschauspiel in Rußland. Erzählen im Kontext der Massenmedien. 1. Journalismus als Erzählen. Wer die Auseinandersetzung literarischer Autorinnen und Autoren mit Formen des Journalismus beschreibt, geht von zwei scheinbar selbstverständlichen Beobachtungs- einstellungen aus: Es besteht eine gesicherte Vorstellung von Person und Rolle des Autors, und seine Gebrauchsprosa wird gezwungenerweise im Kontrast zur literarischen gesehen. Einen anderen Blickwinkel eröffnet der Zugang vom journalistischen Alltagstext her: Fragt man nach Dekontextualisierung und damit Entpragmatisierung verschiedener journa- listischer Formen, zeigt sich, daß hier schon der Autor viel weniger klar zu fassen ist (vom freien Mitarbeiter über das erkennbare Mitglied einer Kommunikatororganisation bis zum Kollektiv einer Nachrichtenagentur) und daß der Übergang vom reinen Sachtext zur Fiktion schon in den Routinetexten alltäglicher Berichterstattung beginnt. Es geht also darum, Fragen der Literaturwissenschaft, insbesondere der Erzähltheorie, an alltagsjournalistische Texte zu stellen und auf diese Weise der Pragmatisierungshandlung des Schriftstellers die Entpragmatisierung des Journalismus entgegenzusetzen. Auch wenn es üblich geworden ist, die Gültigkeit der Kategorien des Erzählens auch für nichtliterarische Texte zu reklamieren, ist bisher noch kaum versucht worden, Instru- mente der literarischen Erzähltheorie konsequent auf alltagsjournalistische Produkte anzu- wenden. Die Suche nach Erzählstrukturen und ihren Funktionen in den Informationsmedien konzentrierte sich bisher in erster Linie auf den Dokumentarfilm. Inwieweit die dabei erar- beiteten Modelle auf andere, journalistische Texte angewandt werden können, muß erst noch geprüft werden. Kaum thematisiert worden sind andere klassische Fragen literarischer Erzählforschung: - die Beziehungen zwischen Erzähler und Autor in der journalistischen Kommunikati- on; - die Dimensionen von Produktionszeit, Erzählzeit und Rezeptionszeit - die Funktion der Fiktion in Nachricht und Bericht; - die Personenrede in den verschiedenen journalistischen Genres; - Besonderheiten metanarrativer Funktionen (z.B. Verweise auf Recherchierarbeit, Eigenzitate, Moderation). Eine Intensivierung der Forschung auf diesem Gebiet würde nicht nur der Publizistik- wissenschaft wichtige Impulse geben, die immer noch auf der Suche nach einem Textbegriff ist, der ihr (vorwiegend systemtheoretisch orientiertes) Theoriegebäude ergänzen könnte. Sie würde auch Querbeziehungen festigen zwischen literaturwissenschaftlichen und anderen (linguistischen, geschichtswissenschaftlichen) Ausprägungen der Textanalyse. Die Literaturwissenschaft könnte davon profitieren, daß mit diesem Vorgehen die lite- rarische Produktion in ein Modell gesetzt wird, das erarbeitet wurde ausgehend von Texten des alltäglichen Gebrauchs. Wichtige Forschungsliteratur Branigan, Edward: Narrative Comprehension and Film. London, New York 1992. Chatman, Seymour: Coming to Terms. The Rhetoric of Narrative in Fiction and Film. Itha- ca, N.Y 1990. Danto, A. C.: Narration and Knowledge. New York 1985. Prince, Gerald: Narratology: The Form and Functioning of Narrative. New York 1982. Toolan, Michael J.: Narrative. A Critical Linguistic Introduction. London - New York 1988. Trew, T.: Theory and ideology at work. In: Fowler, R. et al.: Language and Control. Lon- don 1979. Eigene Vorarbeiten (Jürg Häusermann, Deutsches Seminar) Fachsprache und Fachscript in journalistischen Texten. In: C. Goehrke et al. (Hg.): Primi sobranie pestrych glav. Festschrift Peter Brang. Bern etc.: Lang, 1989. Im Dialog mit dem Akteur. Journalistisches Zitieren im Fernsehbericht. Erscheint in: R. Ho- berg / B. U. Biere (Hg.): Oralität und Schriftlichkeit im Fernsehen. Mannheim: IdS, 1995. Mögliche Dissertationsprojekte: Dekontextualisierung in den journalistischen Formen Reportage, Glosse usw. Voice over: Ich-Erzählung in Tagesjournalismus, Dokumentarfilm und Spielfilm. Der Moderator und andere Erzählerfiguren zwischen Text und Paratext. Journalismus als Funktion der Zeit; die Zeit als Funktion des Journalismus. 2. Erzählen im Film. Der Film ist in großen Teilen seiner Produktion und Verbreitung (als Spielfilm) ein narratives Genre, aber seine Verfahrensweisen sind im deutschsprachigen Schrifttum kaum untersucht. Das ist umso auffälliger, als wichtige Filme der letzten Jahrzehnte etwa die Fil- me Alexander Kluges, Wim Wenders (besonders 'Der Himmel über Berlin', Peter Greena- ways und Theo Angelopoulos) das Erzählproblem im Zusammemnhang mit poststruktu- ralistischen Konzepten explizit thematisieren und problematisieren und damit die Grenzen der vor allem durch das Hollywood-Kino gesetzten Standards der filmischen Fiktion spren- gen. Der gewohnte 'Realitätseindruck des Kinos' (Metz) wird fragwürdig, womit eine Ten- denz zur Entpragmatisierung verbunden ist. Zugleich werden aber Versatzstücke aus Do- kumentarfilmen als eines ursprünglich pragmatischen Genres auf verfremdende und be- fremdliche Weise verwendet. Diese avantgardistischen Momente führen aber an eine Grenze in den Rezeptionsgewohnheiten des Kinopublikums, dem der Film als Massenmedium um den Preis von Trivialität Rechnung tragen muß. Aus diesem Grunde sind etwa Fassbinder und Reitz bewußt zu den Verfahrensweisen des traditionellen Erzählkinos zurückgekehrt. Zugleich wird aber eine neue Form des interaktiven Erzählens postuliert. Wie jedoch Erzäh- len im Film organisiert ist, wird auch in den amerikanischen Untersuchungen (Chatman, Branigan, Bordwell) und in semiologischen Arbeiten (etwa Metz) noch nicht befriedigend erklärt. Das Problem ist Gegenstand einer Reihe von Lehrveranstaltungen, die seit einigen Jahren in Tübingen durchgeführt werden und die die Eignung erzähltheoretischer Positionen der Literaturwissenschaft (Lämmert, Stanzel, Stierle, Genette) für eine modifizierte Be- schreibung filmischer Verfahrensweisen erproben. Auf eine Publikation der Ergebnisse wur- de angesichts von deren Vorläufigkeit und der Langfristigkeit des Forschungsvorhabens bisher verzichtet, jedoch sind eine Reihe von Dissertationen abgeschlossen oder in Vorberei- tung. Wichtige Forschungsliteratur David Bordwell, Narration in the Fiction Film. Madison 1985. Edward Branigan, Narrative Comprehension and Film. London 1992. Seymour Chatman, Coming to Terms: The Rhetoric of Narrative in Fiction and Film. Ithaca 1990. Christian Metz, Semiologie des Films. München 1972. Eigene Vorarbeiten (Klaus-Detlef Müller, Deutsches Seminar) S.o. Erläuterung zum Forschungsschwerpunkt und Anhang B (abgeschlossene Dissertatio- nen und laufende Dissertationen in diesem Zusammenhang) Mögliche Dissertationsprojekte Voraussetzungen filmischen Erzählens. Erzählform und Genrebildung im Spielfilm. Der Spielraum des Dokumentarischen im Film. Fiktionalisierung von Dokumentarischem im Spielfilm. Minimalismus/Neorealismus: Ästhetik der Sachlichkeit im Zeichen der Post- Postmoderne. Im Kontext des mittlerweile allenthalben reklamierten 'Endes' der Postmoderne und der damit scheinbar verbundenen Rückkehr der Kunst zu einer 'neuerlichen' Ästhetik der Sachlichkeit zeichnete sich in der amerikanischen Literatur der achziger Jahre ein Trend ab, der von der Kritik unter Begriffen wie "hyperrealism", "dirty realism" und insbesondere "minimalism" subsumiert wurde. Diese aus der Kunst- und Musikwissenschaft übernomme- ne Bezeichnung wird für verschiedene Arten von Texten verwendet, die sich einerseits durch extremen Oberflächenrealismus, andererseits durch die weitgehende Verweigerung einer sinnstiftenden Vermittlung der Wirklichkeit auszeichnen. Diese beiden in mini- malistischen Texten erkennbaren diametral entgegengesetzen Wirkintentionen reflektieren das Spannungsfeld zwischen Entpragmatisierungs- und Repragmatisierungstendenzen, das im Zuge der Ausbreitung postmoderner Literatur in den sechziger und siebziger Jahren auch in der ästhetischen Theorie an Kontrastschärfe gewonnen hatte. Minimalistische Literatur übernimmt durch Affirmation und Fortschreibung skeptizi- stischer Strömungen der Postmoderne vielfach deren entpragmatisierende Grundhaltung. Den verspielten Kaprizen eines traditionell postmodernen Erzählers, der die Thematisierung der Autoreflexivität des Kunstwerks mit komplexen narrativen Strukturen erreichte, stehen im Minimalismus etwa die Verweigerung von Sinnstiftungsmodellen durch Reduktion der auf die Primärwirklichkeit verweisenden Sinnmuster gegenüber: die referentielle Aporie der Postmoderne wird quasi mimetisch (mittels einer zur Leerformel reduzierten Wirklichkeits- referenz) umgesetzt. In diesem Sinne läßt sich der Minimalismus letztlich der postmodernen Literatur zuordnen, von der er lediglich formal, nicht aber hinsichtlich seiner ideologischen Ausrichtung abweicht. Demgegenüber stehen jedoch auch minimalistische Textstrategien, die bei aller Ver- weigerung sinnhafter Prädikation als 'post-postmodern' zu verstehen sind, insofern ihre Strukturen eine klare Absage an die Postmoderne sowohl in formalästhetischer als auch ideologischer Hinsicht beinhalten. Sie scheinen gegen postmodernen Bedeutungsrelativis- mus gerichtet eine Rückbesinnung auf die gesellschaftlichen Funktionen der Literatur zu initiieren. In diesem Falle überlagern sich postmoderne mit neorealistischen, auf eine textex- terne gesellschaftliche Wirklichkeit verweisenden Erzählstrategien. Die formale Reduktion minimalistischer Literatur legt implizit oft eine Fokussierung auf 'essentielle' Wirklichkeit und epiphanisches Erleben nahe. Insofern durch die formale Reduktion in minimalistischer Literatur die Präsenz von autopoetischen Kommentaren ebenso wie von Verweisen auf implizite Ideologien auf ein Minimum herabgesetzt ist, werden die textintern (re-)konstruierbaren Wirkintentionen äu- ßerst interpretabel. Ihre ideologische und programmatische Offenheit wird häufig von den rezipierenden Interpretationsgemeinschaften deren spezifischem Literaturverständnis ent- sprechend auf verschiedenste Weise ausgelegt; Pragmatisierungs- oder Entpragmatisie- rungstendenzen werden dabei von den Rezipientengruppen mithin als Konstrukt ihrer Weltorientierung in die Texte erst hineinprojiziert. Wichtige Forschungsliteratur John W. Aldridge, Talents and Technique: Literary Chic and the New Assembly-line Ficti- on. New York, 1992. Graham Clarke, ed., The New American Writing: Essays on American Literature Since 1970, New York, 1990. Edward Strickland, Minimalism: Origins. Bloomington, 1993. John Barth, "A Few Words About Minimalism." The New York Times Book Review (28.12.1986): 1, 2, 25. Kim Herzinger, "Minimalism as a Postmodernism: Some Introductory Notes." New Orleans Review, 16:3 (Fall 1989), 73-81. Eigene Vorarbeiten (Bernd Engler, Abteilung für Amerikanistik) Hauptseminar: Minimalism. Oberseminar: Ästhetik zeitgenössischer amerikanischer Literatur. Mögliche Dissertationsprojekte Minimalistische Ästhetik zwischen Autonomie und Heteronomie: Zur Postmodernismus- Minimalismus Debatte. Zur Tradition minimalistischer Darstellungsformen: Hemingway bis Carver. Zeitgenössische Medienkultur in Amerika und minimalistische Ästhetik. Sinnverweigerung und Sinnkonstruktion: Repragmatisierung als rezeptionsästhetisches Problem. Post-Postmoderne Selbstreflexivität: Die 'You-Perspektive' und die Ästhetik minimalisti- schen Erzählens. 8 7